Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 05
meiner Mutter nicht sehr ähnlich“, sagte sie betont kühl.
„Das ist auch nicht nötig. Du bist ihre Tochter, das genügt. Kind meines Kindes. Ich habe lange darauf gewartet, dass du herkommst, Xenia. Manchmal habe ich schon befürchtet, du würdest dich nicht mehr rechtzeitig entschließen, sodass ich dich nie mit meinen Augen erblickt hätte. Denn mit meinem Herzen habe ich dich immer gekannt. Du irrst dich“, fügte er entschieden hinzu. „Du bist meiner Mija sehr ähnlich. Sie stand meinem Herzen am nächsten, mein jüngstes Kind. Ihre Mutter war meine dritte Frau.“
Xenia wich seinem Blick zornig aus.
„Es gefällt dir nicht. Nein, leugne es nicht … ich lese es in deinen Augen. Dein glühender Blick verrät deine Gefühle. Auch darin bist du deiner Mutter ähnlich.“
Sie hielt es für klüger, zu schweigen. Die Gebrechlichkeit ihres Großvaters berührte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Sie hatte gewusst, dass er ein alter Mann war … immerhin war er bei der Geburt ihrer Mutter schon über vierzig gewesen. Aber irgendwie hatte sie sich eingeredet, dass er immer noch derselbe starke, grimmige Mann sein würde, den sie aus den Beschreibungen ihrer Mutter kannte … und nicht dieser kränkliche, weißbärtige Mann, dessen dunkle Augen sie so beunruhigend mitfühlend und verständnisvoll anblickten.
Irgendwie brachte sie die schroffen, ablehnenden Worte, die sie sich so wohl überlegt hatte, einfach nicht über die Lippen. Stattdessen … Unschlüssig hob sie die Hand und strich sich durchs Haar. Der goldene Armreif an ihrem Handgelenk blitzte auf, und ihr Großvater erstarrte sichtlich.
„Du trägst Mijas Armreif“, flüsterte er. „Ich habe ihn ihr geschenkt … hier ist ein Foto, auf dem sie ihn trägt.“
Zu Xenias Überraschung nahm er ein schweres Fotoalbum von einem Tisch neben dem Diwan und winkte sie näher, um ihr das Foto zu zeigen. Zögernd folgte sie seiner Aufforderung und schluckte, als er mit matter Hand Seite um Seite des Albums umblätterte. Es enthielt nur Fotos von ihrer Mutter, und manche davon … Xenias Augen schimmerten feucht, als sie eins der Fotos erkannte. Es zeigte sie als Neugeborenes auf dem Arm ihrer Mutter. Ihr Vater hatte das gleiche Foto eingerahmt auf seinem Schreibtisch stehen gehabt in seinem Arbeitszimmer zu Hause!
Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und hinderte Abu Assad daran, weiterzublättern. „Dieses Foto … woher …?“
„Dein Vater hat es mir geschickt“, sagte ihr Großvater. „Er hat mir viele Fotos von dir geschickt, Xenia, und viele Briefe.“
„Mein Vater?“ Xenia brauchte einen Moment, um diese unerwartete Neuigkeit zu begreifen. Warum hatte er das getan? Und warum hatte er es vor ihr geheim gehalten? Auch vor ihrer Mutter? Was konnte ihn dazu veranlasst haben, obwohl er doch wusste, wie tief sein Schwiegervater ihre Mutter verletzt hatte?
Sie begegnete dem Blick ihres Großvaters und wusste, dass er ihr ansah, was sie dachte. Ein wenig linkisch bedeutete er ihr, noch näher zu kommen. Als sie zögerte, sagte er: „Dort drüben steht eine Schachtel. Ich möchte, dass du sie mir bringst.“
Xenia holte die Schachtel, die auf einem antiken, kunstvoll geschnitzten Tischchen stand, und reichte sie ihm.
„Sie hat meinem eigenen Großvater gehört“, sagte Abu Assad. „Er war Händler, und diese Schachtel hat ihn überallhin begleitet. Und er hat mir erzählt, dass sie ursprünglich für einen der Sultane des großen Ottomanischen Reiches angefertigt worden war.“ Der alte Mann lächelte. „Mein Großvater war ein wunderbarer Geschichtenerzähler, und als kleiner Junge habe ich viele Male meinen Unterricht vernachlässigt, um zu seinen Füßen zu sitzen und seinen Erzählungen zu lauschen. Ob sie wahr waren oder nicht!“
Während er sprach, griff er nach einem schweren Schlüsselbund, suchte den passenden Schlüssel heraus und steckte ihn mit etwas Mühe in das winzige Schloss des Kästchens. Sobald er den Deckel aufklappte, roch Xenia den ihr so vertrauten Duft von altem Sandelholz. Geduldig wartete sie ab, während ihr Großvater seufzend in dem Kästchen kramte, bis er gefunden hatte, was er suchte.
„Lies dies“, sagte er schroff und reichte ihr einen abgegriffenen Luftpostbriefumschlag. „Es ist der Brief deines Vaters, in dem er mich von deiner Geburt benachrichtigt.“
Zögernd nahm Xenia den Umschlag aus der Hand ihres Großvaters entgegen. Die Neugier siegte. Vorsichtig zog Xenia den Brief heraus,
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