Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 05
gerechnet hatte, dass ihm etwas zustoßen könnte, war nicht nur kein Geld da, sondern auch noch das Haus mit Hypotheken belastet.“
Die beiden Schwestern sahen sich an. Sie hatten beide das zarte, herzförmige Gesicht, den makellosen Pfirsichteint und das strohblonde Haar ihrer Mutter geerbt. Während Tanya allerdings sehr groß war und die braunen Augen ihrer Mutter mitbekommen hatte, war Mariella eher klein und zierlich und hatte die auffallend blaugrünen Augen von ihrem Vater geerbt, dem Mann, der kein Jahr nach ihrer Geburt festgestellt hatte, dass Ehe und Vaterschaft nicht nach seinem Geschmack waren, und seine Frau mit dem Baby sitzen gelassen hatte.
Tanya hatte ihre ältere Halbschwester immer um ihre ungewöhnliche Augenfarbe beneidet, vor allem als sie sich gegen ein Studium und für eine Karriere als Sängerin und Tänzerin entschieden hatte. Mit Mariellas Augen, so behauptete sie immer, würde sie jede andere Bewerberin um eine Rolle ausstechen. Und Mariella bewunderte ihre eigenwillige und impulsive Halbschwester, die sich durch nichts von ihrem eingeschlagenen Weg abbringen ließ – auch wenn es ihr jetzt sicher sehr schwerfallen würde, ihre kleine Tochter sechs Wochen lang nicht zu sehen.
Denn bei allen Unterschieden und kleineren Meinungsverschiedenheiten, in einem waren sich die beiden Schwestern restlos einig: in ihrer bedingungslosen Liebe und Fürsorge für die kleine Fleur.
„Ich werde jeden Tag anrufen“, versprach Tanya jetzt heiser. „Ach, Mariella, ich habe so ein schlechtes Gewissen … Ich weiß doch, wie sehr du als kleines Kind gelitten hast, weil dein Vater nicht da war, sondern dich und Mum im Stich gelassen hat … und wie viel Glück ich hatte, dass Mum und Dad und du für mich da wart. Und jetzt lasse ich meine kleine Fleur hier bei dir …“
Mit dem Baby auf dem Arm drückte Mariella ihre Schwester beruhigend an sich. „Das Taxi ist da“, sagte sie und wischte Tanya liebevoll die Tränen aus dem Gesicht.
„Mariella, ich habe einen Wahnsinnsauftrag für dich!“
Mariella gab gerade Fleur die Flasche, als ihre Agentin Kate anrief und offenbar Feuer und Flamme war.
„Es geht um Dutzende von Rennpferden. Der Auftraggeber besitzt einen eigenen Rennstall unten in Zuran. Er ist ein Mitglied des Königshauses von Zuran und hat anscheinend über den Burschen aus Kentucky von dir erfahren – du weißt schon, dem der Sieger aus dem Derby vergangenes Jahr gehörte, den du dann gemalt hast. Wie auch immer, Prinz Sayid möchte, dass du nach Zuran fliegst, selbstverständlich auf seine Kosten, und das Projekt mit ihm besprichst, sozusagen die Biester vor Ort begutachtest.“
Mariella lachte. Sie wusste, dass Kate, stets in exklusive Designermode gekleidet und zu Hause ganz in Weiß eingerichtet, absolut nichts für Tiere übrig hatte. „Ich muss zugeben, das klingt viel versprechend. Aber eigentlich bin ich momentan mit Aufträgen eingedeckt, und außerdem habe ich Fleur für die nächsten sechs Wochen, sodass eine Reise nach Zuran sowieso nicht möglich wäre.“
„Das ist kein Problem!“, widersprach Kate eifrig. „Prinz Sayid hat bestimmt nichts dagegen, wenn du die Kleine mitnimmst. Mariella, einen solchen Auftrag kannst du unmöglich ablehnen! Allein bei dem Gedanken an die Kommission läuft mir das Wasser im Mund zusammen!“
„Ich verstehe“, meinte Mariella lachend. Sie hatte eigentlich durch Zufall angefangen, Tierporträts zu malen. Zuerst war es nur ein Hobby gewesen, und sie hatte die Haustiere ihrer Freunde porträtiert. Per Mundpropaganda war sie dann immer weiter empfohlen worden, bis schließlich so viele Aufträge eingegangen waren, dass sie sich entschlossen hatte, ihren Lebensunterhalt ganz auf diese Weise zu verdienen. Inzwischen war ihr Ruf so weit gediehen, dass sie sehr gut von ihrer Arbeit leben konnte, und normalerweise hätte sie auch nicht eine Sekunde gezögert, die Chance zu ergreifen, die Kate ihr nun bot. „Weißt du, Kate, ich würde es ja wirklich gern machen, aber augenblicklich muss ich zuerst an Fleur denken.“
„Überleg es dir gut, bevor du einen solchen Auftrag ausschlägst“, warnte Kate sie. „Wie ich schon sagte, es gibt keinen Grund, warum du Fleur nicht mitnehmen könntest. Du würdest bei deinem Aufenthalt in Zuran ja noch gar nicht arbeiten – das Treffen dient nur dem gegenseitigen Kennenlernen. Es würde sich auch nur um gut eine Woche handeln, und wegen des Babys brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen.
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