Julia Quinn
wahr? Elizabeth klappte das
Buch energisch zu und legte es genauso wieder auf das Regal, wie sie es vorgefunden hatte. Niemand sollte denken, dass sie sich das dumme Buch tatsächlich
angesehen hatte.
Sie nahm ihren Bücherstapel und
kehrte in den Salon zurück, wo Lady Danbury immer noch in ihrem Sessel saß, den
Kater streichelte und aus dem Fenster sah, als wartete sie auf jemanden.
»Ich habe ein paar Bücher
gefunden«, verkündete Elizabeth. »Zum Beispiel Shakespeare ...«
»Doch hoffentlich keine
Tragödien?«
»Nein, in Ihrer gegenwärtigen
Stimmung hielt ich Komödien für unterhaltsamer.«
»Braves Mädchen«, lobte Lady
Danbury. »Was sonst noch?«
Elizabeth sah auf den Stapel. »Ein
paar Romane und Gedichte.«
»Die Gedichte können Sie in den
Kamin werfen.«
»Wie bitte?«
»Nun, so wörtlich habe ich das nicht
gemeint, die Bücher sind sicher wertvoller als Brennholz. Aber ich möchte auf
keinen Fall Gedichte hören. Die muss mein verstorbener Mann gekauft haben. Er
war ein solcher Träumer.«
»Ich verstehe«, meinte
Elizabeth, nur um irgendetwas zu sagen.
Plötzlich räusperte Lady Danbury
sich. »Warum gehen Sie heute nicht einmal früher nach Hause?«
Elizabeth sah sie entgeistert an.
Das hatte Lady Danbury noch nie angeboten.
»Ich muss mich gleich mit diesem
neuen Verwalter befassen, und dabei kann ich Sie nicht gebrauchen. Außerdem –
wenn er einen Blick für hübsche junge Mädchen hat, wird er meinen Worten wohl
kaum die nötige Aufmerksamkeit schenken, solange Sie anwesend sind!«
»Lady Danbury, ich glaube kaum
...«
»Unsinn, Sie sind ein ziemlich
attraktives Geschöpf. Männer lieben blondes Haar. Ich kann das beurteilen,
mein Haar war auch einmal so hell wie Ihres.«
Elizabeth lächelte. »Es ist immer
noch hell.«
»Ja, nur dass es jetzt weiß ist!« korrigierte Lady
Danbury lachend. »Sie sind ein liebes
Mädchen. Sie sollten nicht bei mir sein, sondern sich lieber einen Mann
suchen.«
»Ich ...« Was sollte sie dazu
sagen?
»Es ist sehr edel von Ihnen, dass
Sie sich so rührend um Ihre Geschwister kümmern, aber Sie müssen auch einmal leben.«
Elizabeth konnte ihre Arbeitgeberin
nur anstarren und merkte entsetzt, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Fünf Jahre war sie nun schon bei Lady Danbury, aber noch nie hatten sie über
solche Dinge gesprochen. »Ich ... ich gehe dann jetzt wohl, nachdem Sie es mir
gestattet haben.«
Lady Danbury nickte und wirkte
seltsamerweise etwas enttäuscht. Hatte sie gehofft, Elizabeth würde näher auf
dieses Thema eingehen? »Bringen Sie nur bitte vorher noch das Gedichtbuch
wieder zurück«, bat sie. »Ich sehe es mir bestimmt nicht an, und ich traue
dem Personal nicht zu, Ordnung in der Bibliothek zu halten.«
»Gern.« Elizabeth legte die
restlichen Bücher auf den Tisch, suchte ihre Sachen zusammen und verabschiedete
sich. Als sie aus dem Zimmer ging, sprang Malcolm von Lady Danburys Schoß und
folgte ihr.
»Sehen Sie?« schwärmte Ihre
Ladyschaft. »Ich sagte Ihnen doch – er liebt Sie!«
Elizabeth beobachtete den Kater
argwöhnisch, als sie in den Flur trat. »Was willst du, Malcolm?«
Er legte die Ohren an und fauchte
gereizt.
Vor Schreck ließ Elizabeth das Buch
fallen. »Du Ungeheuer! Folgst mir nur, um mich anzufauchen!«
»Haben Sie mit dem Buch nach ihm
geworfen?« rief Lady Danbury vorwurfsvoll.
Elizabeth beschloss, diese Frage zu
ignorieren. Stattdessen zeigte sie drohend auf Malcolm, während sie das Buch
wieder aufhob. »Geh zurück zu Lady Danbury, du grässliches Tier!«
Mit hoch erhobenem Schwanz
stolzierte Malcolm davon. Elizabeth atmete auf und ging in die Bibliothek. Sie
wandte sich der Abteilung für Lyrik zu und achtete sorgfältig darauf, dass sie
dem kleinen roten Buch den Rücken zukehrte. Sie wollte nicht daran denken, es
nicht sehen, nicht...
Es ging nicht. Das Buch schien sie
magisch anzuziehen.
Noch nie hatte sie erlebt, dass von einem leblosen Gegenstand eine solche Anziehungskraft ausging.
Sie ordnete den Gedichtband ein und
ging mit energischen Schritten zur Tür. Langsam fing sie an, sich über sich
selbst zu ärgern. Dieses dumme kleine Buch sollte ihr doch gleichgültig sein!
Indem sie es mied wie die Pest, verlieh sie ihm nur eine Bedeutung, die ihm gar
nicht zustand, und ... »Ach, zum ...!« stieß sie schließlich hervor.
»Haben Sie etwas gesagt?« rief
Lady Danbury aus dem Salon.
»Nein! Ich ... ich bin nur über die
Teppichkante gestolpert.« Auf Zehenspitzen kehrte
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