Julia Quinn
Verdacht, dass die meisten sich nicht zutrauten,
ihre Gesichtszüge lange genug zu beherrschen, um den Musikerinnen zu
gratulieren.
Gerade als sie dachte, sie habe auch diese Runde glücklich
überstanden, kam ein letzter Gratulant.
Verflixt, Marcus war es nicht. Anscheinend war er mit Felicity
Featherington, die allgemein als die hübscheste der vier Featherington-Schwestern
galt, ins Gespräch vertieft.
Honoria versuchte, ihren verkrampften Unterkiefer zu einem Lächeln
zu bewegen und wandte sich zu ...
Lady Danbury. Du lieber Gott.
Honoria versuchte, nicht in Panik zu verfallen, aber zum Kuckuck,
die alte Dame machte ihr Angst.
Tock, tock (machte der Stock). Gefolgt von der brüsken Frage: »Sie
sind aber keine von den Neuen, was?«
»Wie bitte, Madam?«, fragte Honoria, da sie wirklich keine
Ahnung hatte, was das heißen sollte.
Lady Danbury beugte sich vor, die Brauen so
fest gerunzelt, dass ihre Augen fast darunter verschwanden. »Sie haben schon
letztes Jahr gespielt. Ich würde in meinem Programm nachschauen, aber ich hebe
keine Programme auf. Viel zu viel Papier.«
»Ach so«, erwiderte Honoria. »Nein, Madam, ich meine, ja, ich
bin keine Neue.« Sie versuchte, all die doppelten Verneinungen im Blick
zu behalten und entschied dann, dass es keine Rolle spiele, ob sie sich korrekt
ausgedrückt hatte. Lady Danbury schien verstanden zu haben, was sie meinte.
Ganz zu schweigen davon, dass mindestens die Hälfte ihrer
Aufmerksamkeit auf Marcus gerichtet war, der immer noch mit Felicity
Featherington plauderte. Die, wie Honoria nicht umhin kam zu bemerken, an
diesem Abend außergewöhnlich hübsch aussah. In genau dem Primelrosa übrigens,
in dem sie sich ein Kleid hatte arbeiten lassen wollen, ehe sie so
überstürzt abgereist war, um den fieberkranken Marcus zu pflegen.
Lady Danbury beugte sich vor und betrachtete die Geige in ihren
Händen. »Eine Violine?«
Mühsam konzentrierte Honoria sich wieder auf ihren Gast. »Ähm, ja,
Madam.«
Die alte Countess warf ihr einen durchdringenden Blick zu.
»Eigentlich hätten sie jetzt am liebsten angemerkt, dass es sich nicht um ein
Klavier handelt. Das sehe ich genau.«
»Nein, Madam, das stimmt nicht.« Und weil es so ein außergewöhnlicher
Abend war, fügte Honoria hinzu: »Ich wollte anmerken, dass es sich nicht um ein
Cello handelt.«
Lady Danbury kicherte so laut, dass Honorias Mutter besorgt
herübersah.
»Ich persönlich finde es ja recht schwer, eine Geige von einer
Bratsche zu unterscheiden«, plauderte Lady Danbury weiter. »Sie
nicht?«
»Nein«, erwiderte Honoria, die im Laufe des Gesprächs etwas
Mut gefasst hatte, »aber das mag auch daran liegen, dass ich tatsächlich Geige
spiele.«
Nun ja, fügte sie in Gedanken hinzu, »spielen« ist in meinem
Fall vielleicht ein zu ehrgeiziges Verb.
Lady Danbury rammte ihren Stock auf den Boden. »Das Mädel am
Klavier habe ich nicht erkannt.«
»Das war Miss Wynter, die Gouvernante der kleinen Pleinsworths.
Meine Cousine Sarah ist krank geworden und brauchte jemanden, der für sie
einspringt.« Honoria runzelte die Stirn. »Eigentlich sollte das vorher
angekündigt werden.«
»Schon möglich. Ich habe nicht zugehört.«
Schon lag Honoria die Bemerkung auf der Zunge, sie hoffe, dass
Lady Danbury den ganzen Abend lang nicht zugehört habe, aber sie schluckte sie
hinunter. Es fiel ihr seltsam schwer, eine fröhliche Fassade
aufrechtzuerhalten. Sie machte Marcus – und bis zu einem gewissen Grad auch
Felicity Featherington – dafür verantwortlich, dass sie so gereizt war.
»Wen schauen Sie denn an?«, wollte Lady Danbury wissen.
Honorias Antwort kam sehr schnell. »Niemanden.«
»Na gut, nach wem halten Sie dann
Ausschau?«
Lieber
Himmel, diese Frau war neugierig wie ein Affe.
»Ebenfalls
nach niemandem, Madam«, schwindelte Honoria
zuckersüß.
»Pah. Er
ist mein Neffe, wissen Sie.«
Sie versuchte, sich ihren
Schrecken nicht anmerken zu lassen.
»Wie
bitte?«
»Chatteris.
Mein Urgroßneffe, um genau zu sein, aber damit fühlt man
sich ja uralt.«
Honoria
sah zu Marcus und dann zurück zu Lady Danbury.
»Marc...
ich meine, Lord Chatteris ist Ihr Neffe?«
»Nicht dass
er so oft zu Besuch käme, wie er sollte.«
»Nun, er
mag London nicht«, murmelte Honoria ohne nachzudenken.
Lady
Danbury kicherte triumphierend. »Das wissen Sie also, ja?«
Honoria fühlte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Wie
schrecklich. »Ich kenne ihn fast mein ganzes Leben lang.«
»Ja, ja«, sagte Lady
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