Julia Quinn
man diese Töne
tatsächlich mit irgendetwas vergleichen wollte, dann wohl am ehesten mit einer
Waffe.
Er sah die Frauen nacheinander an. Die Gouvernante wirkte leicht
panisch, ihr Kopf zuckte ständig zwischen Noten und Tasten hin und her. Daisy
hatte die Augen geschlossen und wiegte den Kopf, als wäre sie ganz in den Bann
geschlagen von dieser – nun ja, vermutlich musste er es doch Musik nennen. Iris
sah aus, als hätte sie am liebsten geweint. Oder Daisy gemeuchelt.
Und Honoria ...
Sie war so wunderschön, dass er am liebsten geweint hätte.
Oder ihre Geige zertrümmert.
Sie sah anders aus als bei der letzten musikalischen Soiree.
Damals hatte sie glücklich gelächelt, und ihre Augen hatten vor Leidenschaft
geglänzt. Heute hingegen attackierte sie ihre Geige mit grimmiger
Entschlossenheit, so, als führte sie Truppen in die Schlacht.
Sie war der Leim, der dieses alberne Quartett zusammenhielt, und
er liebte sie umso mehr dafür.
Er hatte keine Ahnung, ob sie das Stück hatten durchspielen
wollen, doch zum Glück sah Iris auf, entdeckte ihn und stieß ein »Oh!«
aus, das laut genug war, die Probe zu unterbrechen.
»Marcus! «, rief Honoria, und er hätte schwören mögen, dass
sie froh war, ihn zu sehen. Allerdings war er sich seines Urteilsvermögens in
dieser Angelegenheit nicht mehr sicher. »Was machst du denn hier?«
Er hielt den Krug in die Höhe. »Deine Mutter hat mich mit Limonade
hergeschickt.«
Einen Augenblick starrte sie ihn an, und dann brach sie in
Gelächter aus. Iris begann ebenfalls zu lachen, und sogar die Gouvernante
lächelte ein wenig. Nur Daisy stand da und sah sich verständnislos um. »Was
gibt es da zu lachen?«, wollte sie wissen.
»Nichts«, keuchte Honoria. »Es ist einfach ... lieber Himmel,
dieser ganze Tag ... und jetzt schickt uns meine Mutter einen Earl, damit er
uns Limonade serviert.«
»Ich finde das nicht komisch«, erklärte Daisy. »Ich finde das
absolut unpassend.«
»Achten Sie nicht auf sie«, sagte Iris. »Sie hat keinerlei
Sinn für Humor.«
»Das ist nicht wahr!«
Marcus warf Honoria heimlich einen fragenden Blick zu. Sie
bestätigte Iris' Aussage mit einem winzigen Nicken.
»Sagen Sie, Mylord«, fragte Iris nun übertrieben höflich,
»wie fanden Sie unsere Darbietung?«
Darauf würde er unter keinen Umständen antworten. »Ich bin nur
hier, um Limonade auszuschenken«, wiegelte er ab.
»Gut gemacht«, murmelte Honoria.
»Hoffentlich habt ihr Gläser«, sagte er zu ihr, »ich habe
keine entdeckt.«
»Haben wir«, sagte sie. »Würdest du bitte zuerst Miss Wynter
einschenken? Sie hat am härtesten gearbeitet, da sie erst heute Nachmittag zu
uns gestoßen ist.«
Gehorsam ging Marcus hinüber zum Klavier. »Ähm, hier bitte«,
sagte er, vielleicht ein wenig steif, aber er war es schließlich nicht
gewohnt, Getränke anzubieten.
»Danke, Mylord«, sagte sie und hielt ihm
ein Glas hin.
Er goss ihr ein und verneigte sich höflich. »Kennen wir
uns?«, fragte er. Sie kam ihm tatsächlich bekannt vor.
»Ich glaube nicht«, erwiderte sie und führte rasch das Glas
an die Lippen.
Innerlich zuckte er mit den Schultern und ging zu Daisy. Normalerweise hätte er wohl nur gedacht, dass die
Gouvernante eben eines dieser Dutzendgesichter hatte, die einem immer irgendwie
vertraut erschienen. Doch das traf auf Miss Wynter ganz gewiss nicht zu. Sie
war unglaublich schön, auf eine stille, gelassene Art. Frauen wie sie wurden
normalerweise nicht als Gouvernante eingestellt. Lady Pleinsworth hatte sich
vermutlich sicher gefühlt: Söhne gab es nicht, und wenn ihr Ehemann Dorset je
verließ, so hatte zumindest Marcus ihn noch nie gesehen.
»Danke, Mylord«, sagte Daisy, als er ihr einschenkte. »Es ist
sehr demokratisch von Ihnen, eine solche Aufgabe zu übernehmen.«
Er hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte, und so
nickte er nur verlegen und wandte sich zu Iris, die ob der Stumpfsinnigkeit
ihrer Schwester wieder mal peinlich berührt die Augen verdrehte. Als auch diese
Cousine mit Limonade versorgt war, konnte Marcus sich endlich Honoria zuwenden.
»Danke«, sagte sie und nahm einen
Schluck.
»Was wirst du unternehmen?«
Sie sah ihn fragend an. »Weswegen?«
»Wegen der musikalischen Soiree«,
präzisierte er.
»Wie meinst du das? Ich werde spielen. Was soll ich denn sonst
tun?«
Unauffällig nickte er zur Gouvernante hinüber. »Ihr habt eine
erstklassige Ausrede, alles abzublasen.«
»Das geht nicht.« In ihrer Stimme lag mehr als nur
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