Julia Quinn
sah.
Das zumindest hatte er Marcus erzählt, als sie zusammen in Eton
gewesen waren. Wenn er ehrlich war, verstand Marcus immer noch nicht so ganz,
wovon er damals gesprochen hatte. Und er war immerhin in Mathematik der
zweitbeste Schüler gewesen. Aber mit Hugh konnte sich keiner messen.
Niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand
war, spielte mit Hugh Prentice Karten, aber Daniel war an diesem Abend nicht
bei Verstand gewesen, nicht einmal halbwegs, sondern ein bisschen betrunken und
ziemlich überdreht, weil er gerade mit irgendeinem Mädchen im Bett gewesen war.
Und so setzte er sich zu Hugh und spielte mit ihm.
Und gewann.
Selbst Marcus hatte es nicht fassen können.
Nicht, dass er geglaubt hätte, dass Daniel schummelte.
Niemand glaubte das. Er war allseits beliebt. Jeder vertraute ihm. Andererseits
hatte niemand je gegen Hugh Prentice gewonnen.
Hugh hatte getrunken. Daniel hatte ebenfalls
getrunken. Sie hatten alle getrunken, und als Hugh den Tisch umwarf und Daniel
des Betrugs bezichtigte, war in dem Raum plötzlich die Hölle los.
Bis heute war Marcus sich nicht ganz sicher, was damals alles
gesagt wurde, aber binnen Minuten stand fest: Daniel Smythe-Smith würde Hugh
Prentice im Morgengrauen gegenübertreten. Mit Pistolen.
Blieb nur zu hoffen, dass die beiden bis dahin wieder nüchtern
genug wären, um ihre eigene Dummheit zu erkennen.
Hugh hatte als Erster geschossen und Daniel in die linke Schulter
getroffen. Und während alle noch verstört nach Luft schnappten – ehrenhaft wäre
es gewesen, in die Luft zu schießen –, hob Daniel den rechten Arm und schoss.
Und – verdammt, Daniel war noch nie besonders zielsicher gewesen –
er hatte Hugh in den Oberschenkel getroffen. Die Wunde hatte dermaßen geblutet,
dass Marcus noch heute beim bloßen Gedanken daran schlecht wurde. Sogar der
anwesende Arzt hatte entsetzt aufgeschrien. Die Kugel musste eine Arterie
getroffen haben, nichts anderes hätte eine derartige Blutung verursachen
können. Drei Tage lang sorgte man sich vor allem darum, ob Hugh durchkommen
würde; niemand dachte groß an das Bein und den zerschmetterten
Oberschenkelknochen.
Hugh überlebte, doch er konnte nicht mehr richtig laufen,
zumindest nicht ohne Stock. Und sein Vater – der überaus mächtige und überaus
zornige Marquess of Ramsgate – schwor, dass er Daniel zur Rechenschaft ziehen
würde.
Daher Daniels Flucht nach Italien.
Daher Daniels atemlose Versprich-es-mir-jetzt-weil-das-Schiff-jederzeit-auslaufen-kann-Bitte: »Pass auf Honoria auf, ja? Sieh zu, dass sie keinen Dummkopf heiratet.«
Natürlich hatte Marcus es versprochen. Was hätte er sonst tun
sollen? Aber er hatte Honoria nie von diesem Versprechen erzählt. Lieber
Himmel, das wäre eine Katastrophe gewesen. Es war schon schwer genug, ohne ihr
Wissen mit ihr Schritt zu halten. Wenn sie auch noch gewusst hätte, dass er,
Marcus, in loco parentis handelte, beziehungsweise anstelle ihres
Bruders und Familienoberhaupts, wäre sie außer sich vor Zorn gewesen. Und wenn
er eins nicht gebrauchen konnte, dann eine Honoria, die seine fürsorglichen
Pläne durchkreuzte.
Was sie tun würde, wenn sie davon erfuhr. Dessen war er sich
sicher.
Dabei war sie nicht etwa stur aus Prinzip. Normalerweise war sie
sogar vollkommen vernünftig. Aber selbst die vernünftigsten Frauen nahmen Anstoß,
wenn sie das Gefühl hatten, man wolle sie herumkommandieren.
Und so beobachtete er sie aus der Ferne und
vergraulte in aller Stille ein oder zwei Verehrer.
Oder drei.
Vielleicht auch vier.
Er hatte es Daniel versprochen.
Und Marcus Holroyd brach nie ein Versprechen.
2. Kapitel
Wann will er kommen?«
»Weiß ich nicht«,
erwiderte Honoria zum ungefähr siebten Mal. Sie lächelte die anderen jungen Damen im grüngrauen Salon der Royles höflich an. Marcus' Auftauchen
am Tag davor war bereits ausgiebig diskutiert, analysiert und – von Lady Sarah
Pleinsworth, Honorias Cousine und eine ihrer besten Freundinnen – sogar in
Verse gegossen worden.
»Er kam im Regen«,
deklamierte Sarah. »Es war ein Segen.« Beinahe hätte Honoria sich an ihrem
Tee verschluckt. »Auf schlammigen Wegen ...«
Cecily Royle blinzelte spöttisch über den Rand ihrer Teetasse
hinweg. »Hast du mal in Erwägung gezogen, auf die Reime zu verzichten?«
»Unsere
Heldin, ganz verlegen ...«
»Ich war nicht verlegen, mir war kalt«, warf Honoria ein.
Iris Smythe-Smith, eine weitere Cousine, zeigte ihre typische
kühle Miene und verkündete spitz: »Ich
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