Julia Quinn
den
Schultern und meinte: »Eigentlich finde ich die Idee auch ziemlich gut.«
»Aber deswegen sind wir doch extra nach Cambridge gekommen«,
erinnerte Sarah sie. »Um Gentlemen kennenzulernen.«
Das stimmte. Mrs Royle behauptete zwar immer, es gehe darum, sie
mit Kultur und Bildung in Berührung zu bringen, doch die Mädchen kannten die
Wahrheit: Sie waren hergekommen, um potenzielle Heiratskandidaten aufzutun.
Denn viele junge Herren weilten zu Beginn der Saison noch in Oxford oder
Cambridge statt in London, wo sie nach Ansicht Mrs Royles eigentlich hätten
sein sollen, um junge Damen zu umwerben. Mrs Royle hatte für den nächsten Abend
ein Dinner geplant, doch eine Hausgesellschaft außerhalb war sicher noch
effektiver.
Es war schließlich immer von Vorteil, junge Herren in eine
Situation zu bringen, aus der sie sich so schnell nicht befreien konnten.
Honoria würde wohl ihrer Mutter schreiben und sie davon in
Kenntnis setzen müssen, dass sie ein paar Tage länger in Cambridge bleiben
würde. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, Marcus als Köder zu benutzen, um
andere Gentlemen anzulocken, aber sie wusste auch, dass sie es sich nicht
leisten konnte, eine solche Gelegenheit auszuschlagen. Die Studenten waren zwar
noch sehr jung – fast im selben Alter wie die vier Freundinnen –, aber das
störte Honoria nicht. Selbst wenn keiner von ihnen schon zur Ehe bereit war,
hatten manche doch bestimmt ältere Brüder. Oder Vettern. Oder Freunde.
Sie seufzte. Das klang alles so berechnend, und das gefiel ihr gar
nicht, aber was hätte sie machen sollen?
»Gregory Bridgerton«, rief Sarah, die schon bei der Einladungsliste
war. Ihre Augen leuchteten triumphierend. »Er wäre genau der Richtige.
Hervorragende Verbindungen. Eine seiner Schwestern hat einen Duke geheiratet,
die andere einen Earl. Und er ist bereits in seinem letzten Jahr, vielleicht
will er also bald heiraten.«
Honoria sah auf. Sie war Mr Bridgerton einige Male begegnet,
meist dann, wenn seine Mutter ihn zu einer der berüchtigten musikalischen
Soirees der Smythe-Smiths mitgeschleppt hatte.
Schon beim Gedanken daran fühlte sie sich peinlich berührt. Die
alljährliche musikalische Darbietung der Familie war kein guter Anlass, einen
Gentleman kennenzulernen, es sei denn, er war taub. Man war sich nicht ganz
einig darüber, wer die Tradition ins Leben gerufen hatte, aber so viel stand
fest: Im Jahr 1807 hatten sich erstmals vier Smythe-Smith-Cousinen auf die
Bühne gestellt und ein völlig unschuldiges Musikstück gemetzelt. Warum sie
(oder eher ihre Mütter) es für eine gute Idee gehalten hatten, das Massaker im
folgenden Jahr zu wiederholen, würde Honoria wohl nie erfahren, aber sie
wiederholten es, und auch im nächsten Jahr und im Jahr darauf.
Seither war es urigeschriebenes Gesetz, dass jede Smythe-Smith-Tochter
ein Instrument erlernte, zu gegebener Zeit dem Quartett beitrat – und solange
darin blieb, bis sie einen Ehemann gefunden hatte. Ein ziemlich überzeugendes
Argument für eine frühe Heirat, fand Honoria.
Das Merkwürdigste war jedoch, dass die meisten Mädchen nicht zu
bemerken schienen, wie abgrundtief schlecht sie waren. Ihre Cousine Viola war
sechs Jahre lang dabei und sprach immer noch voll Sehnsucht von ihrer Zeit als Mitglied des kleinen
Orchesters. Vor einem halben Jahr erst hatte sie geheiratet, und Honoria wäre
nicht erstaunt gewesen, wenn sie den Bräutigam am Altar stehen gelassen hätte,
nur um ihren Platz als erste Violine zu behalten.
Es war nicht zu fassen.
Honoria und Sarah hingegen hatte man im
letzten Jahr geradezu zwingen müssen, ihre Plätze einzunehmen, Honoria an der
Violine, Sarah am Pianoforte. Die arme Sarah litt bis heute unter den Folgen dieses
schrecklichen Erlebnisses. Sie war nämlich tatsächlich ein bisschen
musikalisch und hatte ihren Part akkurat gespielt. Das zumindest hatte man
Honoria berichtet; es war schier unmöglich, beim Lärm der Violinen etwas zu hören.
Oder bei dem lauten Räuspern im Publikum.
Sarah hatte geschworen, dass sie nie wieder
mit ihren talentlosen Cousinen musizieren würde. Honoria hatte nur mit den
Schultern gezuckt; ihr machte der Auftritt nicht ganz so viel aus. Außerdem
konnte sie ja ohnehin nichts daran ändern. Es war eine Familientradition, und
für Honoria gab es nichts Wichtigeres als die Familie.
Für ihre Suche nach einem Ehemann bedeutete
das jedoch, dass sie jemanden finden musste, der komplett unmusikalisch war.
Oder einen ausgeprägten Sinn für Humor
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