Julia Quinn
Nachmittag war dazu einfach keine
Zeit geblieben. Und so war es jetzt nicht schwierig, die zerzausten Strähnen wieder zu richten.
Marcus' Krawattentuch war da schon erheblich problematischer. Was
sie auch anstellten, sie konnten den sauberen, komplizierten Knoten nicht
nachvollziehen.
»Du darfst deinen Kammerdiener niemals gehen
lassen«, sagte Honoria nach dem dritten fehlgeschlagenen Versuch.
»Vielleicht solltest du ihm sogar mehr Lohn zahlen.«
»Ich habe Lady Danbury aber schon erzählt, dass er mit dem Messer
auf mich losgegangen ist.«
Honoria hielt sich den Mund zu. »Ich versuche, nicht zu
lächeln«, murmelte sie gedämpft, »weil das nämlich gar nicht komisch
ist.«
»Es ist komisch!«
Sie beherrschte sich, so lange sie konnte.
»Also gut, ja.«
Er grinste auf sie herab und sah dabei so glücklich aus, so
sorglos, dass Honorias Herz vor Freude einen Sprung machte. Wie merkwürdig und
doch wie wunderbar, dass ihr eigenes Glück so vom Glück eines anderen abhängen
konnte.
»Lass mich noch mal versuchen«, sagte er, nahm die Enden des
Krawattentuchs in die Hand und stellte sich vor den Spiegel.
Sie beobachtete ihn kurz bei seinen Bemühungen und erklärte dann:
»Du musst wohl nach Hause gehen.«
Er konzentrierte sich weiter auf die Krawatte. »Ich bin ja noch
nicht mal über den ersten Knoten hinaus.«
»Darüber wirst du auch nie hinauskommen.«
Dafür erntete sie einen hochmütigen Blick, samt hochgezogener
Braue und allem, was dazugehörte.
»Du wirst das nie hinbekommen«, beharrte sie. »Also, wenn ich
das so sehe und dann noch an deine Stiefel denke, muss ich meine Meinung über
komplizierte Damenmode und praktische Herrenmode wohl ein wenig
revidieren.«
»Wirklich?«
Sie betrachtete seine auf Hochglanz gewienerten Stiefel. »Meine
Schuhe habe ich mir noch nie mit dem Messer herunterschneiden müssen.«
»Ich trage dafür nichts, was im Rücken geknöpft wird«,
konterte er.
»Stimmt, aber ich kann auch ein Kleid wählen, das die Knöpfe vorn
hat, während du nicht ohne Krawattentuch gehen kannst.«
»Auf Fensmore schon«, brummte er. Er mühte sich immer noch
mit dem inzwischen arg verknitterten Tuch ab.
»Aber wir sind nicht auf Fensmore«, erinnerte sie ihn und
grinste.
»Ich gebe auf.« Er riss sich das Krawattentuch ganz vom Hals
und stopfte es sich in die Tasche. »Es ist wohl auch besser so«, befand er
kopfschüttelnd. »Selbst wenn ich das verflixte Ding richtig gebunden hätte,
wäre es nicht besonders klug, jetzt wieder bei der Soiree aufzutauchen.
Bestimmt denken alle, ich wäre längst heimgegangen.« Er hielt inne und
fügte dann hinzu: »Sofern sie überhaupt an mich denken.«
Da mehrere unverheiratete junge Damen anwesend waren und, was
womöglich noch entscheidender war, auch mehrere Mütter unverheirateter junger
Damen, ging Honoria davon aus, dass seine Abwesenheit sehr wohl bemerkt worden
war.
Doch sein Plan war gut, und so schlichen sie
sich gemeinsam die Hintertreppe hinunter. Honoria wollte sich in den Musikraum
begeben, während Marcus durch den Dienstboteneingang aus dem Haus schlüpfen
sollte. Als sich ihre Wege trennten, sah Marcus sie noch einmal zärtlich an und
berührte sanft ihre Wange.
Sie lächelte. Sie musste einfach zeigen, wie glücklich sie war.
»Ich komme morgen bei dir vorbei«, versprach
er.
Sie nickte. Und dann wisperte sie, weil sie wirklich nicht anders
konnte: »Bekomme ich noch einen Abschiedskuss?«
Er ließ sich nicht lange bitten, umfasste ihr
Gesicht mit beiden Händen, und ihre Lippen fanden sich zu einem leidenschaftlichen
Kuss. Honoria spürte, wie sie innerlich brannte, dahinschmolz, sich förmlich
auflöste. Vor Freude hätte sie beinahe gelacht, sie stellte sich auf die
Zehenspitzen, um ihm noch näher zu sein, und dann ...
War er verschwunden.
Ein fürchterlicher Schrei ertönte, und dann flog Marcus durch den
kleinen Flur und knallte an die Wand gegenüber.
Honoria kreischte auf und rannte zu ihm. Ein Eindringling war ins
Haus gelangt, und nun hatte er Marcus bei der Kehle gepackt. Sie hatte nicht
einmal Zeit, Angst zu haben. Ohne nachzudenken, stürzte sie sich auf den
Schuft und sprang ihm auf den Rücken. »Lass los«, rief sie und versuchte,
seinen Arm zu fassen, um ihn daran zu hindern, Marcus noch einmal zu schlagen.
»Um Himmels willen«, fuhr der Mann sie an, »geh runter von
mir, Mücke.«
Mücke?
Sie erschlaffte. »Daniel?«
»Wer zum Teufel sollte es wohl sonst
sein?«
Honoria fielen darauf
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