Julia Quinn
weiß, dass ich
das Richtige mache ... Kann ich dir irgendwie helfen, oder wäre es das Beste,
wenn ich mucksmäuschenstill bin?«
Darauf trat eine quälend lange Pause ein, und dann sagte er:
»Hilfst du mir bitte, den Stiefel auszuziehen?«
»Natürlich!« Sie eilte herüber. »Hier, lass mich, ähm
...« Als kleines Mädchen hatte sie ihrem Vater geholfen, sich seiner
Stiefel zu entledigen, doch seither niemandem mehr, und gewiss keinem Mann, der
eben noch auf ihr gelegen hatte.
Ihr Gesicht begann zu brennen. Wo um alles in der Welt war dieser
Gedanke hergekommen? Es war ein Unfall gewesen. Und es war Marcus. Daran
musste sie denken. Marcus. Es war nur Marcus.
Sie setzte sich ihm gegenüber, ans andere Ende seines ausgestreckten
Beins, und packte den Stiefel mit der einen Hand am Schaft, mit der anderen an
der Sohle. »Bist du bereit?«
Er nickte grimmig.
Sie begann am Stiefel zu ziehen, doch Marcus schrie vor Schmerzen
so laut auf, dass sie seinen Fuß sofort fallen ließ.
»Alles in Ordnung?« Beinahe hätte sie ihre eigene Stimme
nicht wiedererkannt, so entsetzt hatte sie geklungen.
»Versuch es noch einmal«, sagte er
barsch.
»Bist du sicher? Weil ...«
»Tu es einfach«, stieß er hervor.
»Na schön.« Noch einmal nahm sie seinen
Fuß, biss die Zähne zusammen und zog. Fest. Diesmal schrie Marcus nicht auf,
doch er stieß ein schreckliches Geräusch aus, wie ein sterbendes Tier. Als
Honoria es nicht mehr ertragen konnte, hörte sie auf. »Ich glaube, so klappt
das nicht.« Sie sah ihn an. »Und damit meine ich, dass ich den Stiefel nie von dir herunter bekomme.«
»Versuch es noch einmal«, sagte er. »Die Stiefel sind immer
schwer auszuziehen.«
»So schwer?«, fragte sie ungläubig. Und da behaupteten die Leute
immer, Damenkleidung sei unpraktisch.
»Honoria.«
»Schon gut.« Sie versuchte es noch einmal mit demselben Ergebnis.
»Tut mir leid, aber ich glaube, du musste das aufschneiden, wenn du
heimkommst.«
Er verzog gequält das Gesicht.
»Es ist doch nur ein Stiefel«, murmelte
sie mitfühlend.
»Das ist es doch gar nicht«, fuhr er sie an. »Es tut einfach
höllisch weh.«
»Oh.« Sie räusperte sich. »Tut mir
leid.«
Er atmete lang und zittrig aus. »Du wirst mir aufhelfen müssen.«
Sie nickte und stand auf. »Hier, gib mir deine Hand.« Sie
nahm seine Hand und versuchte ihn hochzuziehen, doch er kam nicht auf die
Beine. Nach einem Augenblick ließ er sie los.
Honoria sah auf ihre Hand. Die wirkte plötzlich so leer. Und kalt.
»Du wirst mich unter den Achseln fassen
müssen«, sagte er.
Vor ein paar Minuten hätte sie das vielleicht noch schockiert,
doch nach ihren Versuchen, ihm den Stiefel auszuziehen, konnte sie darin nun
nichts Ungehöriges mehr sehen.
Sie nickte noch einmal, bückte sich und schlang die Arme um ihn.
»So, jetzt geht es los«, sagte sie und versuchte ihn, stöhnend vor
Anstrengung, auf die Füße zu bringen. Es fühlte sich merkwürdig an, ihn so zu
halten, und es machte sie schrecklich verlegen. Außerdem entbehrte das Ganze
nicht einer gewissen Ironie: Wenn er nicht zuvor in das Maulwurfsloch geraten
und auf sie gefallen wäre, dann wäre sie ihm in diesem Moment körperlich so
nah wie nie zuvor.
Wenn er nicht so hastig von ihr aufgesprungen und ein zweites Mal
im Loch hängen geblieben wäre, wären sie allerdings gar nicht erst in diese
Lage geraten.
Nach einigem Manövrieren und einem nun eher halbherzigen Fluch von
Marcus bekamen sie ihn endlich auf die Beine. Honoria trat etwas zurück, legte
aber seine Hand auf ihre Schulter, damit er sich abstützen konnte. »Kannst du
dein Bein belasten?«
»Ich weiß nicht«, sagte er und probierte es. Er machte einen
Schritt und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht.
»Marcus?«, fragte sie zögernd.
»Es geht schon.«
Sie fand, dass er einfach schrecklich aussah. »Bist du
sicher?«, fragte sie. »ich finde wirklich ...«
»Es geht scho... Aua!« Er stolperte und krallte sich Halt suchend
in ihre Schulter.
Geduldig wartete Honoria, bis er sich wieder gefangen hatte, und
reichte ihm zum Aufstützen auch noch die andere Hand. Er nahm sie mit festem
Griff, und wieder fiel ihr auf, was für eine schöne Hand es war, groß und warm.
Und auch sicher, obwohl sie sich darunter selbst nicht viel vorstellen konnte.
»Ich brauche vielleicht doch Hilfe«, räumte er widerstrebend
ein.
»Natürlich. Ich will nur eben ... ah ...« Sie trat auf ihn zu
und schnell wieder ein Stückchen zurück.
»Stell dich
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