Julia Quinn
das.
Er atmete tief durch und nutzte die Zeit, um sich seine Worte
zurechtzulegen. »Warum fällt es dir so schwer, Hilfe anzunehmen?«
»Tust du es denn?«, konterte sie.
Er starrte sie an. »Nimmst du gern Hilfe von anderen an?«
»Kommt
darauf an, wer sie mir anbietet.«
»Ich.« Sie verschränkte einmal mehr die Arme und wirkte recht
zufrieden mit ihrer Antwort, obwohl er sich wirklich nicht vorstellen konnte,
warum. »Stell es dir nur mal vor. Stell dir mal vor, die Situation wäre anders
herum.«
»Mal angenommen, es ging um etwas, worin du Erfahrung hättest,
dann, ja, dann würde ich mir gern von dir helfen lassen.« Nun verschränkte auch er die Arme, ebenfalls ziemlich
befriedigt. Es war ein wunderbarer Satz, beruhigend und nett und vollkommen
nichtssagend.
Er wartete darauf, dass sie etwas sagte, doch nach einigen
Augenblicken schüttelte sie nur kurz den Kopf und sagte: »Ich muss
zurück.«
»Wird man
dich denn vermissen?«
»Man hätte
mich längst vermissen sollen«, brummte sie.
»Der verstauchte Knöchel«, murmelte er
und nickte mitfühlend.
Darauf reagierte sie mit einem finsteren Blick und stapfte davon.
In die falsche Richtung.
»Honoria!«
Sie wandte sich um.
Er gab sich größte Mühe, nicht zu lächeln, als er in die richtige
Richtung wies. »Da geht es nach Bricstan.«
Sie biss die Zähne zusammen, sagte aber nur:
»Danke«, und drehte sich um. Etwas zu schnell, sodass sie ins Stolpern
kam. Sie schrie auf, während sie versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen,
und Marcus reagierte, wie jeder Gentleman instinktiv reagiert hätte. Er eilte
zu ihr, um sie zu stützen.
Nur dass er
dabei in das verdammte Maulwurfsloch trat.
Der nächste Aufschrei kam von ihm, in Form eines Fluchs, wie er
danach beschämt feststellte. Er geriet ins Taumeln, und dann fielen sie beide
hin und landeten mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden, Honoria auf dem
Rücken, Marcus auf ihr.
Sofort stemmte er sich auf die Ellbogen, um sie nicht zu erdrücken,
und blickte auf sie hinab. Er sagte sich, dass er das nurtat, um sich zu
vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung war. Er wollte sie fragen, sobald
er wieder Luft bekam. Doch als er sie ansah, rang sie selbst gerade nach Atem.
Sie hatte die Lippen geöffnet, ihr Blick war benommen, und so tat er, was jeder
Mann in dieser Lage getan hätte: Er senkte den Kopf, um sie zu küssen.
5. Kapitel
Im einen Moment stand Honoria aufrecht da – also gut, sie hatte
nicht ganz und gar aufrecht dagestanden. Sie hatte Marcus so schnell entkommen
wollen, dass sie sich zu schnell umgedreht
hatte, auf der feuchten Erde ausgerutscht war und das Gleichgewicht verloren
hatte.
Aber sie hatte fast aufrecht dagestanden und hätte im nächsten
Augenblick auch ganz aufrecht dagestanden, wenn Marcus sich nicht (im wahrsten
Sinne des Wortes) auf sie gestürzt hätte.
Das wäre schon beunruhigend genug gewesen, doch dann war seine
Schulter auch noch direkt gegen ihre Mitte geknallt. Die Luft war ihr aus den
Lungen gewichen, und dann waren sie beide zu Boden gegangen, wobei Marcus auf
sie draufgefallen war.
Das war wohl der Augenblick, in dem Honoria aufgehört hatte zu
denken.
So nahe hatte sie noch keinen Mann gespürt –
lieber Himmel, wann hätte sie Gelegenheit dazu haben sollen? Hin und wieder
hatte sie zu eng Walzer getanzt, aber das war nicht vergleichbar. Sein Gewicht,
seine Wärme. Es fühlte sich merkwürdig primitiv an, und noch merkwürdiger war,
dass es beinahe angenehm war.
Sie öffnete die Lippen, um etwas zu sagen,
doch während sie so dalag und zu ihm aufsah, fand sie keine geeigneten Worte.
Er wirkte auf einmal so anders. Sie kannte diesen Mann, fast solange sie denken
konnte – wie konnte es angehen, dass ihr nie die Form seiner Lippen aufgefallen
war? Oder seine Augen. Dass sie braun waren, hatte sie gewusst, aber nicht,
dass sie so warm leuchteten, mit bernsteinfarbenen Flecken am Rand der Iris.
Und selbst jetzt schien sich ihre Farbe zu verändern, als er näher kam ...
Näher?
Du lieber Himmel. Wollte er sie küssen? Marcus?
Sie rang nach Atem. Und öffnete die Lippen. Und irgendetwas in ihr
spannte sich vor Erwartung an, und alles, was sie denken konnte, war ...
Nichts. Zumindest war das alles, was sie denken sollte, denn
Marcus hatte offenbar absolut nicht die Absicht, sie zu küssen. Er stieß eine
Reihe von Flüchen aus, wie sie sie seit Daniels Abreise nicht mehr gehört
hatte, sprang hastig auf, trat einen Schritt zurück, und dann
Weitere Kostenlose Bücher