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Julia Quinn

Julia Quinn

Titel: Julia Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit List und Küssen
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Er hätte durchaus mehr Leute in seinem Leben
haben können. Sogar sehr viele Leute. Er war ein Earl, zum Kuckuck. Wenn er
sich ein Haus voller Leute gewünscht hätte, hätte er nur mit den Fingern zu
schnippen brauchen.
    Aber er hatte sich nie Gesellschaft nur um des eitlen Geschwätzes
willen gewünscht. Und bei allem, was ihm im Leben wichtig gewesen war, war er
ohnehin allein gewesen.
    Genau so wollte er es schließlich haben.
    Oder glaubte es zumindest.
    Er blinzelte noch ein paarmal, und der Raum nahm Gestalt an. Die
Vorhänge waren nicht vorgezogen, und der Mond spendete genug Licht, um die
Farbabstufungen gerade so eben erkennen zu lassen. Oder vielleicht sah er es
auch nur, weil er wusste, dass seine Wände burgunderrot waren und das riesige
Landschaftsgemälde über dem Kamin größtenteils grün. Die Menschen sahen das,
was sie zu sehen erwarteten. Das war eine der grundlegenden Binsenweisheiten
des Lebens.
    Er wandte den Kopf und betrachtete die Gestalt im Sessel. Es war
definitiv Honoria, und das nicht nur, weil sie diejenige war, die er dort zu
sehen erwartete. Ihre Frisur hatte sich halb gelöst, und das Haar war eindeutig
hellbraun, nicht dunkelbraun wie das ihrer Mutter.
    Er fragte sich, wie lange sie da wohl schon saß. Bequem hatte sie
es sicher nicht.
    Aber er sollte sie nicht stören. Bestimmt brauchte sie ihren
Schlaf.
    Er versuchte sich aufzurichten, war aber zu
schwach, um mehr als ein paar Zoll zu schaffen. Immerhin konnte er sie jetzt besser
sehen und vielleicht sogar die Hand über sie hinweg ausstrecken, um das Glas
Wasser auf dem Tisch zu erreichen.
    Oder vielleicht auch nicht. Es gelang ihm, den Arm ein Stück zu
heben, doch dann musste er ihn wieder sinken lassen. Verdammt, war er müde.
Und durstig. Sein Mund fühlte sich an, als wäre er voll Sägemehl.
    Das Glas Wasser war praktisch das Paradies. Ein Paradies außer
Reichweite.
    Verdammt.
    Er seufzte und wünschte sich gleich darauf, er hätte es unterlassen,
weil seine Rippen davon wehtaten. Ihm tat der ganze Körper weh. Wie war es
möglich, dass einem einfach alles wehtat? Bis auf das Bein, das brannte eher.
    Wenigstens schien er kein Fieber mehr zu haben, oder zumindest
kein hohes mehr. Es war schwer zu sagen. Jedenfalls fühlte er sich so klar wie
schon lang nicht mehr.
    Er beobachtete Honoria ein Weilchen. Sie bewegte sich überhaupt
nicht im Schlaf. Ihr Kopf war in einem unnatürlichen Winkel zur Seite geneigt.
Wenn sie aufwacht, hat sie einen schrecklich steifen Nacken, dachte er besorgt.
    Vielleicht sollte er sie
wecken. Das wäre nur freundlich. »Honoria«, krächzte er.
    Sie regte
sich nicht.
    »Honoria.« Er bemühte sich, lauter zu sprechen, doch es klang
genau wie zuvor – rau und heiser, wie ein Insekt, das gegen die Scheibe
brummte.
    Er versuchte noch einmal, die Hand nach ihr auszustrecken. Sein
Arm wog tonnenschwer, aber irgendwie bekam er ihn vom Bett hoch. Er wollte sie
nur anstupsen, doch stattdessen landete seine Hand schwer auf ihrem
ausgestreckten Bein.
    »Aaaah!« Sie fuhr mit dem Kopf so unvermittelt hoch, dass sie
ihn am Bettpfosten anschlug. »Aua«, stöhnte sie und rieb sich die
schmerzende Stelle.
    »Honoria«, sagte er noch einmal, um ihre Aufmerksamkeit zu
erlangen.
    Sie murmelte etwas, gähnte herzhaft und fuhr sich mit dem
Handrücken über die Wange. Und dann: »Marcus?«
    Sie klang verschlafen. Und wunderbar.
    »Kann ich bitte etwas Wasser
bekommen?«, bat er. Vielleicht hätte er etwas Tiefschürfenderes sagen
sollen, schließlich war er praktisch von den Toten zurückgekehrt. Aber er hatte
so schrecklichen Durst. Und nach Wasser zu fragen, war für jemanden in seinem
Zustand wohl wahrhaftig tiefschürfend genug.
    »Natürlich.« Sie machte sich in der Dunkelheit zu schaffen,
bis sie das Glas zu fassen bekam. »Ach, zum Kuckuck«, hörte er sie sagen.
»Einen Augenblick.«
    Er beobachtete, wie sie aufstand und an einen anderen Tisch ging,
um sich einen Krug zu greifen. »Viel ist nicht mehr da«, murmelte sie
erschöpft. »Aber es sollte reichen.« Sie goss etwas ins Glas und nahm den
Löffel.
    »Ich komme schon zurecht«, sagte er ihr.
    Überrascht sah sie ihn an. »Wirklich?«
    »Kannst du mir helfen, mich
aufzurichten?«
    Sie nickte und legte die Arme um ihn, fast
wie bei einer Umarmung. »So, da sind wir«, murmelte sie und zog ihn in
die Höhe. Sanft landeten ihre Worte in seiner Halsbeuge, fast wie bei einem
Kuss. Er seufzte und wurde still, gestattete sich einen Augenblick, die

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