Julia Quinn
sie
ein.
Honoria wachte am nächsten Morgen wunderbar warm und behaglich auf. Die
Augen noch fest geschlossen, streckte sie die Zehen, spannte die Füße an und
ließ sie erst in die eine, dann in die andere Richtung kreisen. Es war ihr
morgendliches Ritual, sich im Bett zu recken und zu strecken. Ihre Hände waren
als Nächstes dran. Sie spreizte die Finger und machte Fäuste. Dann der Hals,
vor und zurück und im Kreis.
Sie gähnte, streckte die Arme aus und ...
Stieß gegen jemanden.
Sie erstarrte. Öffnete die Augen. Und dann fiel ihr alles wieder
ein.
Lieber Himmel, sie lag mit Marcus im Bett. Nein. So konnte
man es nicht ausdrücken. Sie lag in Marcus' Bett.
Aber sie lag nicht mit ihm im Bett.
Ungehörig war es sicher, aber für junge Damen, die sich mit einem
Gentleman im Bett wiederfanden, der eindeutig zu krank war, um sie zu
kompromittieren, gab es doch bestimmt eine Ausnahmegenehmigung.
Langsam versuchte sie sich wegzubewegen. Kein Grund, ihn
aufzuwecken. Er hatte vermutlich keine Ahnung, dass sie hier war. Und mit hier meinte sie, direkt neben ihm, Seite an Seite, ihre Füße an seinen. Sie lag
nicht mehr ganz am Bettrand, wo sie sich letzte Nacht hingelegt hatte.
Sie beugte die Knie und stellte die Füße auf die Matratze, um sich
abstoßen zu können. Erst hob sie die Hüften, schob sie einen Zoll nach rechts.
Dann ihre Schultern. Dann wieder die Hüften, und dann die Füße, um aufzuholen.
Nun die Schultern, und dann ...
Wusch!
Schwer ging Marcus' Arm auf ihrer Mitte
nieder.
Honoria erstarrte wieder. Lieber Himmel, was sollte sie jetzt nur
tun? Vielleicht würde er sich wieder umdrehen, wenn sie ein wenig abwartete.
Sie wartete. Und wartete. Und dann bewegte er
sich.
In ihre Richtung.
Honoria schluckte nervös. Sie hatte keine
Ahnung, wie spät es war – kurz nach Tagesanbruch, so viel stand fest, aber abgesehen
davon, hatte sie keinen Hinweis auf die Uhrzeit –, und sie wollte wirklich
nicht, dass Mrs Wetherby hereinkam und sie mit Marcus im Bett liegen sah. Oder
schlimmer noch, ihre Mutter.
Bestimmt würde niemand schlecht von ihr denken, nicht nach allem,
was am Tag davor geschehen war. Aber sie war unverheiratet, genau wie er, und
es war ein Bett, und sie hatte nur sehr wenig an, und ...
Das war's. Sie würde jetzt aufstehen. Wenn er aufwachte, dann
wachte er eben auf. Zumindest würde er nicht mit der sprichwörtlichen Pistole
im Nacken aufwachen, die ihn zur Heirat zwang.
Sie riss sich los und stieg aus dem Bett,
versuchte dabei die liebenswerten schläfrigen Laute zu ignorieren, die er von
sich gab, während er sich umdrehte und unter die Decke kuschelte. Sobald ihre
Füße fest auf dem Teppich standen, warf sie rasch einen Blick auf sein Bein. Es
schien ordentlich zu heilen; jedenfalls war keine Spur von Doktor Winters'
ominösen roten Streifen zu sehen.
»Danke«, flüsterte sie.
»Bitte«, murmelte Marcus.
Honoria kreischte vor Schreck leise auf und sprang ein Stück
zurück.
»Tut mir leid«, sagte er, doch er
lachte.
Das war so ziemlich das herrlichste Geräusch, das Honoria je
gehört hatte.
»Ich habe doch nicht dir gedankt«,
erklärte sie kess.
»Ich weiß.« Er lächelte.
Sie versuchte ihre Röcke glatt zu streichen, die schrecklich
zerknittert waren. Sie trug immer noch das blaue Kleid, das sie in London
angezogen hatte, und das war – ach, du lieber Himmel – vor zwei Tagen gewesen.
Sie musste aussehen wie eine Vogelscheuche.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Viel besser«, erwiderte er und setzte sich auf. Sie
bemerkte, dass er die Decken mit sich zog. Aus diesem Grund errötete sie auch nur rosig und nicht tiefrot. Es war beinahe
komisch. Gestern hatte sie seine nackte Brust bestimmt hundertmal gesehen,
hatte an seinem nackten Bein herumgedrückt und herumgestochert und sogar –
nicht dass sie ihm das je erzählen würde – einen kurzen Blick auf eine Pobacke
erhascht, als er sich herumgeworfen hatte. Aber jetzt, wo sie beide hellwach
waren und er nicht länger an der Schwelle des Todes stand, konnte sie ihm nicht
einmal in die Augen sehen.
»Hast du noch große Schmerzen?«, fragte sie und deutete dabei
auf sein Bein, das unter der Decke hervorragte.
»Es ist eher ein dumpfer Druck.«
»Das wird eine schreckliche Narbe geben.«
Er lächelte ironisch. »Ich werde sie voll Stolz und Verlogenheit
tragen.«
»Voll Verlogenheit?«, wiederholte sie
belustigt.
Er legte den Kopf schief und betrachtete die riesige Wunde an
seinem Bein. »Ich
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