Julia Quinn
Wärme
ihres Atems auf seiner Haut auszukosten.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie beunruhigt und zog sich ein
Stück zurück.
»Ja, ja, natürlich«, sagte er und schüttelte den Tagtraum ab,
so schnell es einem Mann in seinem Zustand möglich war. »Tut mir leid.«
Mit vereinten Kräften brachten sie ihn in eine aufrechte Position,
und dann nahm Marcus das Glas und trank ohne Hilfe. Bemerkenswerterweise fühlte
sich diese bescheidene Leistung wie ein Triumph an.
»Du siehst so viel besser aus«, sagte Honoria und blinzelte
sich den Schlaf aus den Augen. »Ich ... ich ...« Sie blinzelte noch
einmal, aber diesmal glaubte er eher, dass sie Tränen zurückblinzelte. »Es ist
so schön, dich wiederzusehen.«
Er nickte und hielt ihr das Glas hin. »Mehr,
bitte.«
»Natürlich.« Sie goss ihm noch einmal ein. Er trank gierig
und atmete erst wieder, als er alles ausgetrunken hatte.
»Danke«, sagte er und reichte ihr das
Glas zurück.
Sie nahm es, stellte es ab und setzte sich wieder in den Sessel.
»Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht«, sagte sie.
»Was ist passiert?«, wollte er wissen. An manches erinnerte
er sich – an ihre Mutter und die Schere, an das Riesenkaninchen. Und sie hatte
ihn ihren Prüfstein genannt. Daran würde er sich immer erinnern.
»Der Arzt war zwei Mal da«, erklärte
sie. »Doktor Winters. Der jüngere Doktor Winters. Sein Vater ... Nun, ich bin
mir nicht sicher, was mit seinem Vater passiert ist, aber wenn ich ehrlich bin,
ist mir das auch egal. Er hat dein Bein nicht mal untersucht. Er hatte keine
Ahnung, dass du eine entzündete Wunde hattest. Wenn er das früher entdeckt
hätte ... nun ja, vielleicht wäre es dann trotzdem so schlimm geworden.«
Sie presste die Lippen zusammen. »Vielleicht aber auch nicht.«
»Was hat Doktor Winters gesagt?«, erkundigte sich Marcus und
erläuterte dann: »der jüngere.«
Sie lächelte. »Er glaubt, dass du dein Bein behalten kannst.«
»Was?« Verständnislos starrte er sie an.
»Wir haben befürchtet, dass es amputiert
werden muss.«
»Oh Gott.« Er sank in die Kissen nieder.
»Oh Gott.«
»Wahrscheinlich war es gut, dass du von dieser Möglichkeit gar
nichts wusstest«, sagte sie sanft.
»Oh Gott.« Ein Leben ohne Bein konnte er sich nicht vorstellen.
Vermutlich konnte das niemand, ehe es sein musste.
Sie ergriff seine Hand. »Es wird alles
gut.«
»Mein Bein«, wisperte er. Er verspürte
den irrationalen Drang, sich aufzusetzen und es anzusehen, nur um
sicherzugehen, dass es noch da war. Er zwang sich, ruhig dazuliegen; sie würde
ihn vermutlich für komplett verrückt halten, wenn er jetzt darauf bestand, sich
sein Bein anzuschauen. Zumindest tat es weh. Es tat sogar sehr weh, und dafür
war er dankbar. Schließlich war das ein Beweis dafür, dass es noch da war, wo
es hingehörte.
Honoria entzog ihm ihre Hand und unterdrückte ein Gähnen. »Ach,
entschuldige«, sagte sie dann. »Ich habe leider nicht allzu viel Schlaf
abbekommen.«
Seine Schuld, erkannte er. Ein weiterer Grund, warum er ihr
Dankbarkeit schuldete. »Dieser Sessel kann nicht sehr bequem sein«, sagte
er. »Nimm doch die andere Seite des Bettes.«
»Oh, das geht nicht.«
»Es kann auch nicht ungehöriger sein als alles andere, was heute
passiert ist.«
»Nein«, sagte sie und sah aus, als hätte sie gern gelacht,
wenn sie nicht so müde gewesen wäre, »ich meine wirklich, dass es nicht geht.
Die Matratze ist immer noch nass von der Prozedur, als wir dein Bein gesäubert
haben.«
»Oh.« Und dann lachte er. Weil es komisch war. Und weil es
sich so gut anfühlte, wieder zu lachen.
Sie rutschte ein wenig im Sessel herum, um eine bequemere Position
zu finden. »Vielleicht könnte ich mich auf die Decke legen«, schlug sie
vor und reckte den Hals, um über ihn hinweg einen Blick auf die leere Bettseite
zu werfen.
»Wie du möchtest.«
Sie stieß einen erschöpften Seufzer aus. »Meine Füße werden
vielleicht nass. Aber ich glaube, das macht mir nichts aus.«
Einen Augenblick später lag sie auf der Decke im Bett. Er auch,
allerdings war über ihn größtenteils eine zweite Decke gebreitet; sein Bein
sollte wohl unbedeckt bleiben.
Sie gähnte noch einmal.
»Honoria«, flüsterte er.
»Hmmmm?«
»Danke.«
»Mmm-hmm.«
Ein Augenblick verstrich, und dann sagte er, weil er es einfach
sagen musste: »Ich bin froh, dass du da warst.«
»Ich auch«, erwiderte sie schläfrig, »ich
auch.«
Ihr Atem wurde ruhiger, und seiner auch. Und dann schliefen
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