Julia Saison Band 01
trat und über die kurvigen Straßen von Vermont raste. Ein Mann warf doch nicht vierzig Jahre seines Lebens einfach so weg, um Ziegenbauer zu werden. Auf dem Land leben und Golf spielen, okay. Aber im Stall arbeiten?
Dieser Christopher Trask hatte ihrem Vater anscheinend völlig den Kopf verdreht. Genau wie ihr. Wenn sie den Namen nur dachte, schoss ihr schon das Blut durch den Körper. Auf dem Schiff hatte er noch den Beleidigten gespielt, als sie ihm auf den Kopf zusagte, er wolle sich über sie an Carter ranmachen. Und jetzt das.
Nur über ihre Leiche.
Ein Schild an der Straße wies auf die Farm hin. Nach hundert Metern links abbiegen.
„Biegen Sie jetzt nach links ab“, sagte ihr GPS.
„Halt den Mund.“ Lilian stellte das Ding ab und bog in eine schmale Allee ein. Auf den Pflastersteinen tanzten die Sonnenstrahlen.
Sie würde nicht zulassen, dass ihr Vater Hals über Kopf in eine neue Ehe schlitterte und noch dazu sein Geld in eine bankrotte Ziegenfarm steckte.
Sie sah Carter schon vor sich, wie er in seinem eleganten Anzug hier herumfuhrwerkte. Irgendjemand musste ihn hypnotisiert haben. Entweder Christopher oder Molly.
Die Allee ging in eine gekieste Einfahrt über, und plötzlich befand Lilian sich in einer völlig anderen Welt. Sie trat auf die Bremse und stellte den Motor ab.
Noch nie war sie auf einer Farm gewesen, aber genauso sahen sie in den Bilderbüchern ihrer Kindheit immer aus. Seitlich von der Einfahrt stand ein zweigeschossiges, weißgetünchtes Wohnhaus mit grünen Fensterläden und einer breiten Veranda über die ganze Hausfront. Etwas entfernt befand sich eine altmodisch wirkende Scheune mit verwitterten Holzschindeln. Die hügeligen Weiden ringsum wirkten beinahe unnatürlich grün. Ein bezaubernder Ort.
Sofern man in der Stimmung war, sich bezaubern zu lassen.
Lilian stieg aus und schlug die Autotür hinter sich zu. Sie blickte sich um, dann ging sie mit ihren Stöckelschuhen etwas wackelig über den Kies. Von irgendwoher kam Geschrei, das sich anhörte wie von einem Kinderspielplatz. In einem nahe gelegenen Pferch liefen pickend und gackernd weiße Hühner herum. Daneben stand ein großer, schlaksiger Mann am Wasserhahn und ließ einen Eimer volllaufen.
Lilian ging auf ihn zu, musste dabei aber an dem Hühnerpferch vorbei. Angeekelt hielt sie sich die Nase zu. „Können Sie mir sagen, wo ich Christopher Trask finde?“
„Hi. Ich bin Deke.“ Der Mann nahm seine Baseballmütze ab und drehte sie verlegen zwischen den Fingern. „Gerade war er noch beim Melken, also wird er jetzt … wahrscheinlich ist er …“
„Hier“, sagte eine vertraute Stimme.
Lilian fuhr ärgerlich herum und riss dann vor Erstaunen die Augen auf. Das war nicht der Christopher, den sie kannte. Er hatte einen Schlapphut auf dem Kopf, trug ausgewaschene Jeans und ein ärmelloses T-Shirt und steckte in schweren Arbeitsstiefeln.
Wie er mit seinen muskulösen Armen, breitbeinig und selbstbewusst, vor ihr stand, fand Lilian ihn wahnsinnig sexy. Plötzlich spielte es überhaupt keine Rolle mehr, dass sie eher auf smart und elegant aussehende Männer stand und dass der Landhausstil nicht unbedingt ihr Geschmack war.
Christopher stellte den Kanister ab, den er in der Hand trug, legte die Hände auf die Hüften und musterte sie eingehend. „Hübsches T-Shirt.“
Lilian hatte gerade mit einer Freundin beim Cocktail gesessen, als Carter anrief und ihr mitteilte, dass er nach Vermont umziehen und Farmer werden wollte. Stehenden Fußes war sie aus der Bar gelaufen und direkt zum Flughafen gefahren. Dort hatte sie das erstbeste T-Shirt mit dem Aufdruck eines Popstars und eine Zahnbürste gekauft. Ihren Minirock hatte sie anbehalten.
„Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen“, sagte sie entschuldigend.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du solche Sehnsucht nach mir hast.“
Sie blitzte ihn wütend an. „Wundert mich eigentlich, dass du mich nicht erwartet hast, nachdem du meinen Vater überredet hast, in deine marode Farm zu investieren.“
Zu ihrer Verblüffung fing er schallend an zu lachen.
„Hör auf“, rief sie.
„Dein Vater und sich zu etwas überreden lassen – das ist wirklich zu komisch.“
„Und du glaubst, Ställe ausmisten ist das Richtige für ihn.“
„Was ich glaube, ist völlig egal. Carter Hayes ist ein Mann, der genau das tut, was er will. Aber was kümmert es dich? Bist du sauer, dass dein Erbe geschmälert wird?“
„Ich bin sauer, weil du mich
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