Julia Saison Band 17
intim sein konnte, erschienen ihr wieder einmal unüberwindlich. Allein der Gedanke, sich vor ihm auszuziehen, ließ sie vor Entsetzen erschauern.
Da waren die furchtbaren Dinge, die nach Victors Auswanderung in Argovia passiert waren. Dinge, von denen sie sich nie hatte vorstellen können, sie jemals irgendjemandem zu erzählen. Doch inzwischen hatte sie immer öfter das Gefühl, dass sie sich Caleb anvertrauen sollte. Dieser Gedanke machte ihr noch mehr Angst als die Vorstellung, er könnte sie nackt sehen. Es wäre … eine andere Art von Nacktheit. Eine weitaus schwierigere.
Am Tag darauf reiste Caleb mit seinem Bruder Matt, der für die Finanzen des Familienimperiums zuständig war, nach Los Angeles zu einem Geschäftstermin. Er würde erst am Freitag zurückkommen.
Irina war unglaublich erleichtert darüber, nun noch einige Tage Aufschub zu haben. Gleichzeitig war sie wütend auf sich selbst. Wieso war sie nur nicht bereit, ihm diesen kleinen Gefallen zu tun? Schließlich tat Caleb unvorstellbar mehr für sie – da hatte er doch wohl ein bisschen Entgegenkommen verdient. Obwohl ihr das alles klar war, fand sie immer neue Vorwände, um nicht mit ihm zu schlafen.
Erstaunlicherweise schien er ihr nicht böse zu sein und machte auch keinerlei Anstalten, sie zu drängen. Er wartete ganz einfach darauf, dass sie so weit war. Aber wie lange konnte sie seine Geduld noch strapazieren?
Am Mittwoch rief Mercy Bravo an und lud Irina zum Abendessen auf die Familien-Ranch Bravo Ridge ein. Erfreut sagte Irina zu. Es fühlte sich wundervoll an, zur Familie zu gehören und zu spüren, dass die anderen sich um sie kümmern wollten, während Caleb auf Reisen war.
Es wurde ein wunderschönes Abendessen, an dem auch Matts Frau Corrine teilnahm, die ihre kleine Tochter Kira mitbrachte.
Früh am nächsten Morgen rief Elena an. „Hallo! Mercy hat mir erzählt, dass du gestern Abend auf der Ranch warst.“
„Ja. Es war schön.“
„Prima. Es geht dir also gut … so ganz allein?“
„Ja, alles bestens. Danke.“
„Wenn du etwas brauchst oder dich einsam fühlst, kannst du mich gerne anrufen“, bot Elena an. „Ich habe heute noch bis vier Uhr Unterricht, aber danach könnte ich vorbeikommen.“ Elena war Grundschullehrerin.
„Ich melde mich, wenn ich dich brauche“, versprach Irina. „Vielen Dank, dass du angerufen hast.“
Sie legte auf und dachte noch eine ganze Weile darüber nach, wie wundervoll es war, zu dieser Familie zu gehören.
Nachdem sie gefrühstückt hatte, machte Irina es sich im Wohnzimmer gemütlich und las. Regelmäßiges Lesen war für sie zu einer festen Gewohnheit geworden, denn sie wollte unbedingt ihre Englischkenntnisse perfektionieren. Um auch die Schriftsprache zu verbessern, führte sie ein Tagebuch, in dem sie eifrig notierte, was sie täglich erlebte.
Egal, ob es neue Rezepte waren, die sie ausprobiert hatte, oder Fernsehsendungen, die sie sich ansah, oder ganz einfach ihre Überlegungen zum Leben im Allgemeinen und im Besonderen – sie schrieb alles auf. Das Lernen machte ihr Spaß, vor allem, weil sie sehr schnell große Fortschritte machte. Mit der Zeit fiel ihr immer öfter auf, dass sie sogar anfing, auf Englisch zu denken. Sie rückte ihrem Ziel, eine waschechte Amerikanerin zu werden, immer näher.
Gegen elf Uhr beschloss sie, an diesem Tag die Küche wieder einmal gründlich zu putzen. Nachdem sie alle Schränke abgewischt und poliert hatte, war der Boden an der Reihe. Zunächst holte sie den Staubsauger aus dem Hauswirtschaftsraum, um den gröbsten Dreck aufzusaugen. Danach füllte sie einen Eimer mit Wasser und begann zu wischen.
Die Küche in Calebs Haus war riesig, sodass es sehr anstrengend war. Schon beim Putzen der Schränke hatte sie geschwitzt, doch nun wurde ihr wirklich heiß.
„Ach, was soll’s“, murmelte sie, während sie sich den schweißnassen Pony aus den Augen pustete. Schließlich war sie allein zu Hause, und Caleb würde erst morgen heimkommen. Niemand würde sie sehen, wenn sie ausnahmsweise ihr langärmliges, hochgeschlossenes T-Shirt auszog.
Entschlossen wischte sie sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und zog dann das T-Shirt aus. Das Medaillon, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, verhedderte sich kurz in ihrem Ausschnitt, fiel dann jedoch zurück an seinen Platz über ihren Brüsten.
Irina holte befreit Luft. Oh, es war wunderbar, die kühle Luft auf der nackten Haut zu spüren und endlich von der viel zu warmen Kleidung
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