Julia Sommerliebe 0023
von Anfang an gesagt, dass ich nicht mit dir nach Italien ziehe“, erklärte sie und verzog trotzig das Gesicht. „Du kannst mich nicht dazu zwingen.“
„Ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung getroffen.“
Claire starrte ihn finster an; ihre Mundwinkel zuckten nervös. „Versuch bitte nicht, mich wieder zu erpressen. Es funktioniert nicht. Ich habe erst gestern mit Isaac gesprochen. Er hat mir erzählt, dass dein Freund ihm einen Ausbildungsplatz im Bereich Jugendhilfe verschafft hat und du für die Studiengebühren aufkommen willst. Er fängt in ein paar Wochen an. Du kannst ihn jetzt unmöglich anzeigen. Es sei denn, du hast nicht mal einen Funken Mitgefühl in dir.“
Antonio biss die Zähne zusammen und suchte nach einem anderen Ansatz, um Claire zu überreden, ihn zu begleiten. Nach kurzem Nachdenken beschloss er sich, eine völlig neue Taktik anzuwenden und Claire eine Seite zu zeigen, die sie bisher nicht an ihm kannte. „Meine Mutter liegt im Sterben“, sagte er tonlos. „Ich muss zu ihr. Sie fragt nach mir.“
Sie wand sich unter seinem eindringlichen Blick. „Geh allein zu ihr. Du brauchst mich nicht dabei.“
„Ich hätte dich aber gern bei mir, tesoro mio. “ Er raufte sich die Haare. Ich brauche dich an meiner Seite.
„Ich bin ziemlich sicher, dass es deiner Mutter lieber ist, wenn ich bei einem so schmerzlichen privaten Anlass nicht störe“, entgegnete sie, doch ihre Stimme hatte den scharfen Unterton verloren. Auch ihr Blick war weicher geworden, und ihre Augen leuchteten tiefblau.
„Sie wird dich wahrscheinlich nicht mal erkennen.“
Claire runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“
Er seufzte tief. „Sie leidet an Alzheimer. Bis vor Kurzem wurde sie zu Hause von einer Krankenschwester gepflegt, aber heute Morgen hat sie einen Schlaganfall erlitten. Ihr Gedächtnis, das ohnehin immer mehr nachgelassen hat, ist jetzt praktisch nicht mehr vorhanden.“
„Aber hast du nicht gesagt, dass sie nach dir verlangt hat?“
„Ja. Deswegen muss ich unbedingt zu ihr. Patienten mit Alzheimer können immer noch von Zeit zu Zeit lichte Momente haben. Ich will sie sehen. Es ist mir wichtig. Ich war schon für meinen Vater nicht da und konnte ihm nicht mehr sagen, was ich auf dem Herzen hatte. Ich konnte mir nicht anhören, was er mir sagen wollte.“ Er hielt einen Moment inne. „Für dich und unser Baby war ich auch nicht da. Das verfolgt mich für den Rest meines Lebens. Ich will nichts mehr tun, was ich später bereuen muss. Bitte, Claire, tu mir diesen einen Gefallen.“
Claire spürte, wie sie ihren inneren Widerstand aufgab. Sie sah ein, dass es eine schwierige Zeit für Antonio war. Es lag noch nicht lange zurück, dass er seinen Vater verloren hatte, und nun war seine Mutter schwer krank. Ihm diese eine Bitte abzuschlagen, war schier unmöglich.
Und ihn mit so viel Gefühl in der Stimme von ihrem Baby sprechen zu hören, linderte den Kummer, den sie schon so lange mit sich herumtrug.
Obwohl Antonio ihr nichts davon gesagt hatte, wusste sie, dass er die Ruhestätte aufgesucht hatte. An diesem Nachmittag nach der Arbeit hatte sie einen Teddybären in einem rosa Tutu und einen großen Blumenstrauß auf dem Grab vorgefunden, und dazu eine Karte, auf der in Englisch und Italienisch stand: Mit all meiner Liebe, Dein Papà.
Auf einmal war ihr bewusst geworden, dass Antonio ein verschlossener Mensch war, der seinen Kummer mit sich selbst abmachte. Fast sein ganzes Leben lief unter den wachsamen Blicken der Paparazzi ab. Wenn er trauerte, wollte er allein sein. Es lag ihm nicht, seine Gefühle mit anderen Menschen zu teilen.
Was ihn bewegte, worunter er litt, was er an schwierigen Problemen zu verarbeiten hatte, mit denen er tagtäglich konfrontiert wurde, machte er mit sich selbst ab und ließ dabei niemanden in sich hineinblicken.
Wie sollte er auch für das Wohlergehen seiner Patienten sorgen können, wenn er ständig emotional zusammenbrach? Sie brauchten keinen Chirurgen, der mit ihnen weinte. Sie brauchten einen kompetenten Spezialisten, der klar denken und nüchterne Entscheidungen über ihren Zustand treffen konnte.
Und dieses Denken hatte sich auf sein Privatleben übertragen. Kaum jemand kam an Antonio ran. Er behielt Sorgen für sich, um andere nicht zubelasten. Als seine Ehefrau hatte sie alle seine Gedanken einfordern wollen.
Und da er sie nicht unter Druck preisgeben konnte, war es zu immer mehr Problemen gekommen.
Sie musste Geduld haben und abwarten. Wenn
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