Julia Sommerliebe Band 22
ihn, aber er sagte sich, dass er noch erfahren würde, was er wissen musste. Zumindest hatte nichts von dem, was er herausgefunden hatte, gegen seinen Plan gesprochen.
Als niemand auf sein Klopfen antwortete, betrat er die Suite. Aus der Musikanlage ertönte ein Jazzstück, das er schon einmal gehört hatte, aber im Wohnzimmer war niemand zu sehen. Das appetitlich angerichtete Essen stand unberührt auf dem Tisch und war bereits kalt.
„Miss Barton! Gabby!“ Er schaltete die Musik aus und rief noch einmal nach ihr. Als daraufhin wieder keine Antwort kam, ging er zur Schlafzimmertür und klopfte laut dagegen, doch wieder erfolgte keine Reaktion. Er öffnete die Tür und sah, dass das Bett leer war. Das einzige Anzeichen dafür, dass jemand den Raum betreten hatte, war der Stapel frischer Kleidung, die das Dienstmädchen gemäß seiner Anweisung bereitgelegt hatte.
Er rief noch einmal. Sie musste ihn gehört haben! Ignoriert zu werden gefiel ihm genauso wenig wie jede andere Art von Unhöflichkeit. Und dass sie nicht antwortete, war einfach kindisch.
Er legte die Hand flach auf die Badezimmertür, die nach innen aufschwang. Zögernd trat er ein – es war kein empörtes Kreischen zu hören. Die Luft war dampfgeschwängert, und alle glatten Oberflächen waren beschlagen. Daher dauerte es einen Moment, bevor Rafik die Frau im Wasser sah.
Schnell wandte er sich ab – allerdings nicht ganz so schnell, wie es möglich gewesen wäre – und starrte an die Wand. Die blassen Arme und der schlanke Körper hatte er noch vor Augen. Röte stieg ihm ins Gesicht. Er hatte reagiert wie ein Schuljunge, der zum ersten Mal im Leben eine nackte Frau zu Gesicht bekommen hatte. Und sie hatte keine Anstalten gemacht, sich zu bedecken.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich hatte gerufen, aber Sie haben nicht geantwortet. Ich werde im Wohnzimmer auf Sie warten.“
Er war schon wieder bei der Tür, als er ein leises gluckerndes Geräusch wahrnahm. Er drehte sich um, und schlagartig wurde ihm der Grund klar, weshalb Gabby nicht geantwortet hatte. Entweder war sie ohnmächtig geworden, oder sie war eingeschlafen.
Eilig durchquerte er den Raum und stieg, ohne zu zögern, ins Wasser. Sie lag so still da, dass er einen Moment lang fürchtete, sie hätte aufgehört zu atmen. Als er sah, wie ihr Brustkorb und ihre kleinen Brüste sich hoben, war er zunächst erleichtert, doch dann wurde er von Wut gepackt.
Er sah, wie das Wasser über ihr Gesicht lief. Durch die zusammengebissenen Zähne atmete er scharf ein, dann beugte er sich vor und griff mit einer Hand unter ihren Kopf. Als er sie anhob, wand sie sich verschlafen und murmelte etwas vor sich hin. Er brauchte zwei Versuche. Zwar wog sie nicht viel, aber sie war nass und glitschig und unkooperativ, und so konnte er sie kaum halten.
Als er sie schließlich auf den Armen hielt, öffnete sie ihre großen, blauen Augen. Wäre Rafik vorhin nicht hereingekommen, hätte sie diese Augen vielleicht nie wieder geöffnet. Ihre Achtlosigkeit hätte zu einer Tragödie geführt.
Gabby öffnete die Augen und sah die Wut in seinem Gesicht. Unwillkürlich schreckte sie zurück. Sie erkannte ihn nicht auf Anhieb, doch dann kam die Erinnerung an die vergangenen zwei Tage zurück, und die Mischung aus Elend und Gefühlschaos traf sie mit voller Wucht.
Sie sah zu den dunklen, schlanken Zügen Rafik al Kamils auf. Er würde Paul helfen, und sie wusste noch immer nicht, ob er in die Kategorie Freund oder Feind gehörte. Genau genommen war er zu groß, um in irgendeine Kategorie zu passen.
Er trug sie, als würde sie nichts wiegen, und es gab nichts Weiches an ihm. Sein Körper schien ausschließlich aus Muskeln und Knochen zu bestehen, und sein Blick war stählern.
Und weiter? Sie blinzelte. Wie schwer es ihr fiel, klar zu denken! Doch plötzlich begriff sie. Er trug sie!
„Was machen Sie da?“ Sie blickte an sich herab und sah, dass sie nackt war. Sie fror. „Und warum“, fragte sie mit bebender Stimme, „bin ich nackt?“
Langsam hob sie den Kopf. Als sich ihre Blicke trafen, brach sie in Panik aus. Aus Leibeskräften schrie sie, strampelte mit den Beinen und schlug um sich. Sie landete mehrere Treffer bei Rafik, bevor er sie endlich herunterließ.
„Ganz ruhig!“
Vor Anstrengung zitternd betrachtete sie skeptisch das Handtuch, das er ihr entgegenhielt. Hastig griff sie danach und wickelte sich schnell darin ein. Von Kopf bis Fuß eingehüllt, fühlte sie sich etwas sicherer, doch sie zitterte
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