Julia Sommerliebe Band 22
sie ihm einen ungläubigen Blick zu. War er etwas schwer von Begriff? „Weil ich …“
„… nackt war?“, ergänzte er amüsiert. „Besser, sich ein bisschen zu schämen, als zu ertrinken. Und falls es Sie beruhigt – ich habe auch schon vorher nackte Frauen zu Gesicht bekommen.“ Allerdings hatte sich keine davon unauslöschlich auf seiner Netzhaut eingebrannt.
„Es hilft nichts“, zischte sie, und dachte dabei an die Schönheiten mit ihren perfekten Körpern, die er sicherlich normalerweise in den Armen trug. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken. „Falls Sie nichts dagegen haben, würde ich mich jetzt gern anziehen.“ Als er keine Anstalten machte zu gehen, fügte sie hinzu: „Ohne Zuschauer.“
„Selbstverständlich.“ Rafik neigte den Kopf und wandte sich zum Gehen.
„Und … vielen Dank, dass Sie mir das Leben gerettet haben!“, rief sie, als er schon bei der Tür war.
Er drehte sich noch einmal zu ihr um: „Es war mir ein Vergnügen.“
„Genau das ist es ja, was mir Sorgen bereitet“, murmelte sie, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Er hatte es wohl trotzdem gehört, denn sie hörte ihn lachen und schämte sich umso mehr.
Am liebsten hätte sie ihre eigene Kleidung angezogen, aber ihr Hemd war völlig zerfetzt. Deshalb griff sie zu dem Kleid, welches das Mädchen für sie bereitgelegt hatte. Das bodenlange Gewand entlockte ihr einen erstaunten Ausruf. „Wow!“ Sie bekam ganz große Augen.
Selten hatte sie so etwas Schönes gesehen. Das Kleid war aus dünnen Lagen feinster Seide in unterschiedlichen Blautönen gefertigt. Niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass sie einmal so etwas Traumhaftes tragen würde.
Sie war sicher, dass es ihr nicht passen würde.
Doch es passte. Es saß wie angegossen. Selig lächelnd betrachtete Gabby sich im Spiegel. Sie kreiste mit den Hüften, und die Seide raschelte verführerisch auf ihrer Haut. Unglaublich! In diesem Kleid habe ich ja ein richtiges Dekolleté!
Nicht, dass sie damit den Mann im Nebenzimmer hätte täuschen können. Er wusste bereits, dass sie nicht gerade üppig ausgestattet war. Andererseits hatte sie irgendwo gelesen, dass Männer bei nackten Frauen einen weniger kritischen Blick hatten, als die Frauen meinten …
Aber deswegen bin ich nicht hier, dachte sie ernüchtert. Paul saß im Gefängnis, und sie machte sich Gedanken darüber, was der Kronprinz von Zantara gedacht haben mochte, als er sie nackt gesehen hatte. Wie selbstsüchtig von ihr!
Davon, dass es völlig abwegig war, ganz zu schweigen. Warum sollte Prinz Rafik al Kamil sich auch nur im Geringsten für eine Vorschullehrerin aus Cheshire interessieren?
Sie schüttelte den Kopf und vermied es, an die Glut zu denken, die sie in seinen Augen gesehen hatte.
Nachdem sie tief Luft geholt hatte, öffnete sie die Tür und betrat das Wohnzimmer. Nicht nur der Geruch von Essen – sie war halb verhungert – schlug ihr entgegen, sondern noch etwas anderes.
Rafik Kamil saß auf einem der Sofas. Als er Gabby kommen sah, erhob er sich höflich. Er war unbeschreiblich elegant und strahlte eine ungekünstelte Selbstsicherheit aus, die genauso zu ihm gehörte wie diese ursprüngliche, raubtierhafte Sexualität, die ihr mit voller Wucht entgegenschlug.
Was für ein unpassender Zeitpunkt, eine Schwäche für große, grüblerische, dunkle Männer zu entdecken . Gabby bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Schließlich wollte sie ihren Bruder aus dem Gefängnis retten und sich nicht für irgendwelche dunkelhäutigen Wüstensöhne interessieren.
Rafik starrte Gabby nur an und sagte nichts.
Sie starrte zurück. Seinen Blick fast körperlich spürend, hob sie verlegen eine Hand vor die Brust. „Meine eigene Kleidung konnte ich einfach nicht mehr anziehen“, entschuldigte sie sich. „Das hier ist nicht ganz mein Stil. Trotzdem vielen Dank.“ Sie senkte den Blick. Warum bedankte sie sich bei ihm? Er hatte das Kleid sicher nicht für sie ausgesucht.
„Darin sehen Sie auf alle Fälle besser aus.“
Die Blautöne des Kleides spiegelten die Farbe ihrer Augen wider, ohne sie zu überstrahlen. Ihre von verschmiertem Make-up und Schmutz befreite Haut war makellos und rein, und das frisch gewaschene, noch feuchte Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern.
„Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie verschmutzt meine Sachen waren.“
„So habe ich das nicht gemeint“, erwiderte Rafik und versuchte das Bild zu vertreiben, wie sie nackt und
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