Julia Sommerliebe Band 22
nicht verrückt – sie war nur sehr stark unterzuckert. So hatte sie sich schon mehrmals gefühlt, wenn sie ein oder zwei Mahlzeiten ausgelassen hatte.
Das erklärte ihren Zustand aber nur teilweise. Denn noch nie hatte das Auslassen einer Mahlzeit bewirkt, dass der Anblick eines Mannes eine solche Begierde in ihr ausgelöst hatte.
Lächelnd drehte sie sich nach dem Mädchen um. „Wäre es möglich, eine Tasse Tee zu bekommen?“
„Ihr Essen wird Ihnen gleich hier serviert werden. Ich werde dafür sorgen, dass Tee dabei ist, Miss. Vorher haben Sie genug Zeit, ein Bad zu nehmen, und im Schlafzimmer habe ich frische Kleidung für Sie bereitgelegt.“
Gabby lächelte dankbar.
Als sie allein war, begann sie, sich genauer umzusehen. Sie setzte sich auf die Kante des riesigen Bettes, ließ es einige Male federn und schlug die Tagesdecke zurück, um die aus feinster ägyptischer Baumwolle gefertigte Bettwäsche zu bewundern. Dann entdeckte sie ein Bedienfeld mit Knöpfen, von denen sie einige ausprobierte. Einer davon ließ die Vorhänge zur Seite gleiten, und beim Betätigen eines anderen Knopfes erklang eine Melodie; zufällig war es eine, die Gabby besonders mochte.
Da sie keine Ahnung hatte, wie sie die Musik wieder ausschalten konnte, ließ sie sie laufen. Die Melodie war beruhigend, und mit der Musik im Hintergrund kam Gabby sich weniger verloren vor. Trotzdem fühlte sie sich völlig überfordert. Wie lange würde sie noch durchhalten?
Alle Räume der Suite waren prunkvoll ausgestattet, aber beim Anblick des Badezimmers blieb ihr Mund offen stehen. Der Anblick des prächtigen, in den Boden eingelassenen Bades von erstaunlichen Ausmaßen ließ ihre Augen sehnsüchtig glänzen.
Das Mädchen hatte gesagt, ihr bliebe genug Zeit. Also, was konnte es schon schaden …
Während Gabby das Wasser anstellte und ihre verschmutzte Kleidung auszog, versuchte sie, sich an den Titel des jetzt erklingenden Liedes zu erinnern, doch er fiel ihr nicht ein.
Sie brauchte eine Weile, um sich zu entscheiden, welches der vielen bereitstehenden Badeöle sie benutzen wollte. Schließlich goss sie etwas aus einem blauen Glasflakon hinein. Augenblicklich war der Raum von Rosenduft erfüllt, und Schaum bildete sich auf der Wasseroberfläche.
Gabby atmete tief ein und lächelte erwartungsvoll, als sie die Stufen hinabging, die in das schäumende Wasser führten. Inmitten all der Seltsamkeit hier erschien es ihr wunderbar normal, ein Bad zu nehmen.
Leise lachend ging sie tiefer ins Wasser, kniete sich hinein und schöpfte mit beiden Händen Wasser, um damit ihren Rücken und ihre Schultern zu befeuchten. Als das Wasser ihre Schürfwunden berührte, zuckte sie kurz zusammen.
Dann glitt sie sich mit einem Seufzer ganz ins Wasser, streckte sich aus und ließ den Kopf auf eine bequeme Kopfstütze sinken. Augenblicklich fühlte sie die Anspannung von sich abfallen. Lächelnd rutschte sie ein Stück nach vorn und hielt den Kopf unter Wasser, um Sekunden später wieder aufzutauchen, sich nach vorn zu beugen und das triefend nasse Haar zurückzustreichen. Dann lehnte sie sich wieder zurück.
Im warmen Wasser konnte Gabby endlich abschalten. Es war ihr egal, dass die vergoldeten Schnitzereien an der Decke zu verschwimmen begannen.
Eine bleierne Müdigkeit überfiel sie, und sie schloss die Augen.
Nur ganz kurz …
Die Kombination von warmem Wasser und Musik ließen Gabby im Handumdrehen einschlafen.
Rafik sah auf die Uhr, als er an die Tür der Gästesuite klopfte. Vor einer Stunde hatte er Gabriella Barton verlassen, und in dieser Zeit war er nicht untätig gewesen.
Die Akte, die jetzt auf seinem Schreibtisch lag, war verhältnismäßig umfangreich. Was er darin über Gabbys Bruder gelesen hatte, deutete zu seiner Überraschung darauf hin, dass dieser möglicherweise tatsächlich unschuldig war. Beim Überfliegen der Seiten hatte sich ihm der Eindruck aufgedrängt, dass Paul Barton etwas zurückgeblieben war.
Vielleicht war er unschuldig, aber er machte auf Rafik keinen besonders sympathischen Eindruck. Ein selbstsüchtiger junger Mann, der sich ziellos durchs Leben treiben ließ, keine Verantwortung übernahm und es anderen Menschen überließ, die Schäden, die er dabei anrichtete, wiedergutzumachen, verdiente keine Hochachtung.
Die wesentlichen Fakten über Paul Barton hatte Rafik herausgefunden. Aber das, was er über Gabriela entdeckt hatte – und das interessierte ihn viel mehr –, war weniger erschöpfend. Das ärgerte
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