Julia Sommerliebe Band 22
ich? Vielleicht haben die Inzucht in adligen Kreisen und das ausschweifende Leben bei Ihnen zu einer Verringerung des Schlafbedürfnisses geführt?“
Wie praktisch das wäre, dachte Rafik, und lachte bitter. Nachtschweiß, Schlaflosigkeit und die daraus resultierende ständige Müdigkeit waren einige der Symptome, wegen derer er schließlich einen Arzt aufgesucht hatte.
Da er in seinem bisherigen Leben nicht ein einziges Mal krank gewesen war, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass die Ärzte irgendetwas Ernstes finden würde.
„Habe ich etwas Komisches gesagt?“
„Nein, eher etwas Erhellendes.“
„Soll das heißen, dass Sie tatsächlich keinen Schlaf brauchen?“
Rafik, der sich bewusst war, dass er dringend Schlaf brauchte, ignorierte die Frage. „Unsere Erbanlagen sind wesentlich durchmischter, als Sie anzunehmen scheinen. Über die Jahre hinweg ist immer wieder frisches Blut hinzugekommen.“
Gabby fragte sich, ob das erwähnte frische Blut wohl freiwillig hinzugekommen war. Oder waren seine Vorfahren – jene, von denen er diesen Mund und diese Augen hatte – in der Wüste umhergeritten und hatten einfach alle Mädchen im heiratsfähigen Alter geraubt, die ihnen gefielen?
Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Rafik al Kamil mit flatternden Gewändern auf einem Vollbluthengst durch die Wüste ritt und sich ein neues Opfer schnappte, das er in eines seiner seidenen Zelte bringen würde.
Von dem Zelt hatte Gabby nur eine vage Vorstellung, aber sie konnte umso deutlicher sehen, wie der schlanke, glutäugige Verführer sich sein Gewand auszog.
„Ich wollte Ihnen nur meine Gastfreundlichkeit erweisen“, wurde sie von seiner gelangweilten Stimme unterbrochen. „Bevor wir dieses Thema weiter diskutieren, sollten Sie sich etwas ausruhen. Handeln Sie nicht unüberlegt. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sich an alle Versprechen halten, die Sie machen.“
Gabby war nicht sicher, ob sie sich den finsteren Unterton seiner Warnung nur einbildete. Nun, nachdem er ohne den Hauch einer Erklärung weiß Gott wohin verschwunden war, grübelte sie über das nach, was er eben gesagt hatte.
Zum ersten Mal fragte sie sich, worin der Preis für die Freiheit ihres Bruders bestehen könnte. Was hatte sie, was ein Prinz – der alles besaß – wollen könnte?
Während sie noch darüber nachdachte, nickte sie plötzlich ein. Als sie spürte, wie ihr Kinn auf die Brust sackte, sprang sie erschrocken auf. Einschlafen war das Allerletzte, was ihr jetzt passieren durfte. Sie musste ihren ganzen Verstand zusammennehmen. Kopfschüttelnd versuchte sie die Benommenheit zu vertreiben, rappelte sich auf, rieb sich die Augen und begann, im Raum auf und ab zu laufen.
Wieso war sie ausgerechnet in diesem Zimmer gelandet? War es Schicksal?
Was konnte es sein, was der Prinz von ihr wollte?
Als sie an einem großen Spiegel vorbeiging, sah sie sich darin und seufzte erschrocken auf.
Heute Morgen noch – oder war es gestern Morgen gewesen? – war ihr Haar in einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden gewesen. Jetzt wallte es ungebändigt über ihren Rücken und fiel in wirren Strähnen um ihr Gesicht. Von ihrem Make-up war nichts mehr zu sehen, und sowohl ihr Gesicht als auch ihre Kleidung waren schmutzbefleckt. Kein Wunder, denn bei ihrem Sprung aus dem Lieferwagen war sie kopfüber im Dreck gelandet.
„Um Himmels willen!“, rief sie. Kein Wunder, dass der Prinz ihr ein Bad nahegelegt hatte.
Sie ging einen Schritt auf den Spiegel zu. Immerhin konnte sie jetzt ganz sicher sein, dass er im Tausch für Pauls Freilassung keine sexuellen Gefälligkeiten von ihr verlangen würde – aber davon war sie ohnehin nicht ausgegangen.
Als sie sich daran erinnerte, wie sie vor Begierde förmlich gelähmt gewesen war, als er sie berührt hatte, betete sie inständig, dass er nichts von ihrer Reaktion bemerkt hatte. Dass sie gewagt hatte, diese Anziehung auch nur eine Sekunde lang für gegenseitig zu halten!
Gabby schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Wie verblendet von ihr … Es sei denn, der Prinz hatte eine Schwäche für Landstreicherinnen.
Mit angelecktem Finger versuchte sie, sich den Schmutz von den Wangen zu wischen. Selbst wenn ihn bei ihrem Anblick plötzlich Wollust überkommen hätte – Rafik gehörte sicherlich nicht zu den Männern, die als Gegenleistung Sex forderten.
Warum sollte er auch? Sicherlich hatte er alle Hände voll damit zu tun, sich die Frauen vom Leib zu halten. Oder
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