Julia Sommerliebe Band 22
blinzelte. „Soll das ein Witz sein? In Wirklichkeit haben Sie doch nie vorgehabt, Paul zu retten, stimmt’s?“ Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, legte ihre Serviette zusammen und stand auf. „Was machen Sie und Ihre Freunde nachmittags? Autounfälle angucken?“
Rafik erhob sich von seinem Platz und stand hoch aufgerichtet über ihr. „Sie haben nach der Erbfolge gefragt. Ja, Sie haben recht, ich bin der Nächste. Aber ich werde nicht König werden, Miss Barton.“
Mit unverhohlen misstrauischem Blick musterte sie ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie fragte sich, was das sollte. War das eine weitere Kostprobe seines sonderbaren Humors? „Warum nicht?“ Rafik war der geborene König, ein Bilderbuchprinz. Er war königlich bis in die Fingerspitzen, und offensichtlich würde er keine Probleme damit haben, Leute herumzukommandieren.
Noch bevor Gabby weiter darüber nachdenken konnte, war er in drei Schritten bei ihr, stützte sich mit der Hand hinter ihrem Kopf an der Wand ab und beugte sich zu ihr vor.
Allein seine körperliche Anwesenheit war einschüchternd, aber Gabby war fest entschlossen, ihn nicht merken zu lassen, welche Wirkung er auf sie hatte.
„Versprechen Sie mir, dass Sie das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, niemandem erzählen.“
Sein heftiges Auftreten verunsicherte Gabby noch mehr. „Und wenn nicht?“, fragte sie.
Er hob eine Braue und sah sie spöttisch an. „Glauben Sie etwa, Sie könnten mir drohen?“
Gabby schüttelte den Kopf und schluckte. „Nein.“
„Ich bin der Nächste in der Erbfolge. Mein Vater war nicht mehr der Jüngste, als ich geboren wurde, und er hatte vor fünf Jahren bereits zwei Herzinfarkte. Nach dem zweiten Infarkt ist er operiert worden. Möglicherweise hat er noch ein langes Leben vor sich, aber das ist keineswegs sicher.“
Gabby wusste nicht, wie sie auf diese Information reagieren sollte. Sie duckte sich unter Rafiks Arm weg und ging auf Distanz. „Aber dasselbe gilt doch für jeden anderen Menschen auch.“
„Für mich nicht.“
„Warum nicht? Sind Sie etwa unsterblich?“ Spöttisch lachend wandte sie sich ab.
„Ich sterbe.“
Gabby drehte sich wieder zu Rafik. „Sie sind also krank. Zumindest haben Sie einen krankhaften Sinn für Humor.“ Sie sah ihm ins Gesicht. „Und? Lache ich etwa?“ Sie hielt inne.
Auch er lachte nicht.
Plötzlich hatte sie ein ungutes Gefühl, das sich immer mehr verstärkte, je länger sie sein Gesicht musterte. „Um Himmels willen!“ Sie wurde blass und hielt sich eine Hand vor die bebenden Lippen. „Sie sagen die Wahrheit!“
„Vielleicht bleiben mir noch sechs Monate. Dann habe ich ein halbes Jahr Zeit, um meinen Bruder auf seine Rolle vorzubereiten.“
Gabby schüttelte ungläubig den Kopf und wankte rückwärts, bis sie mit den Kniekehlen gegen einen hinter ihr stehenden Stuhl stieß, auf den sie sich fallen ließ. „Aber es muss doch irgendetwas geben …“
„Nein.“ Sein verschlossener Gesichtsausdruck verriet, dass er das Thema meiden wollte.
„Aber Sie sind jung und fit …“, protestierte sie und sah ihn von oben bis unten an. Genau genommen hatte sie noch nie einen Menschen gesehen, der lebendiger aussah als er.
„Das brauchen wir nicht zu besprechen. Der Stand der Dinge ist klar – es nicht wahrhaben zu wollen wäre unwürdig.“
„Unwürdig?“ Seine Haltung war ihr völlig unverständlich.
„Es lässt sich ohnehin nichts daran ändern.“
Gabby würde so wütend, dass sie einige Herzschläge lang kein Wort herausbrachte. „Wie kann es sein, dass Sie das so kaltlässt?“
Rafik zuckte mit den Schultern. Er war offenbar sehr erstaunt über ihre Reaktion. „Was geht Sie das an? Wir kennen uns doch gar nicht.“
Die Frage und das Schulterzucken verstärkten die Wut, die Gabby ergriffen hatte. Die Hände auf die Armlehnen gestützt, rappelte sie sich wieder vom Stuhl auf, legte den Kopf zurück und sah ihm in das teilnahmslose Gesicht. Während sie die klaren Züge seines Gesichts studierte, dachte sie: Es kann nicht sein, dass er stirbt. Das ist einfach unmöglich. Sicher handelt es sich um einen Irrtum. Nie hatte sie einen dynamischeren Menschen gesehen.
Er strotzte vor Lebenskraft. Oder ist es eher nervöse Energie? fragte sie sich stirnrunzelnd, während ihr Blick an den dunklen Schatten unter seinen unglaublichen Augen hängen blieb.
„Irgendetwas muss man doch tun können …“
„Nein“, unterbrach er sie und fügte, irritiert von ihrer
Weitere Kostenlose Bücher