Julia Sommerliebe Band 23
den warmen Strahlen der Vormittagssonne, die in ihr Zimmer schien. Erschrocken schlug sie die Decke zurück und zog sich rasch an.
Über ihr machten sich die Handwerker lautstark am Dach zu schaffen – wie hatte sie bei dem Krach bloß schlafen können?
Unten war alles still, und die Tür zu Leandros Arbeitszimmer war verschlossen. Zoe beschloss, sich keine weiteren Gedanken über die letzte Nacht zu machen, und suchte ihre Putzutensilien zusammen: Wischmopp, Lappen und Eimer, Handfeger und Schaufel.
Inzwischen hatte sie die meisten Aufenthaltsräume im Erdgeschoss mit ihren vertäfelten Wänden und verdeckten Gemälden gereinigt, so gut es ging. Immer, wenn sie eines der Tücher anhob, kam darunter ein weiterer Filametti zum Vorschein.
Als Nächstes wollte sie sich um die Schlafzimmer im ersten Stock kümmern. Im Moment war sie froh, einer körperlichen Tätigkeit nachgehen zu können, bei der sie nicht weiter nachzudenken brauchte. Weder über Steves Abfuhr noch über Leandros seltsames Verhalten. Oder über ihre unglückliche Kindheit, in der sie sich ständig nach etwas gesehnt hatte, das sie nie bekommen würde. Die Erinnerungen an ihre Mutter schmerzten am meisten.
Mom, können wir nicht hierbleiben? Ausnahmsweise? Mir gefällt es hier nämlich, und ich will nicht schon wieder umziehen. Bitte …
Nein, es war wirklich besser, wenn sie nicht weiter darüber nachdachte.
Trotzdem überfielen sie die Erinnerungen immer wieder: beim Fensterputzen und beim Fußbodenwischen. Dabei kam sie sich vor wie ein modernes Aschenputtel … nur ohne Prinz.
Als wäre das alles hier die logische Folge der Erlebnisse in ihrer Kindheit.
Warum hat das damals alles so sein müssen? fragte sie sich.
Es ist besser, wenn wir weiterziehen, meine Süße. Am nächsten Ort fühlst du dich viel wohler, das verspreche ich dir! Freust du dich nicht ein bisschen, bist du nicht auch gespannt darauf, etwas Neues zu erleben?
Und jedes Mal hatte sie ihre Tränen heruntergeschluckt und sich zu einem zuversichtlichen Lächeln gezwungen. Nach und nach war sie dadurch zu einem Mädchen geworden, dem es nichts ausmachte, von Ort zu Ort zu ziehen. Nirgends wirklich zu Hause zu sein.
Aber jetzt, in dieser Villa, die in ihrer jahrhundertelangen Geschichte schon so vielen Menschen ein Zuhause geboten hatte, stellte sie auf einmal alles infrage, womit sie sich bisher so gut arrangiert hatte.
„Was machen Sie da eigentlich gerade?“
Zoe fuhr herum, ein zerknülltes Staubtuch in der Hand. Im Türrahmen stand Leandro. Er trug eine ausgeblichene Jeans und ein mintfarbenes Hemd mit offenem Kragen. Heute machte er einen frischen, sauberen Eindruck. Im Gegensatz zu ihr: Sie fühlte sich verschwitzt, schmutzig und zerzaust und darum ziemlich unwohl in ihrer Haut.
„Ich mache genau das, wofür ich bezahlt werde“, erwiderte sie schnippisch. Dabei konnte sie nicht aufhören, seinen entblößten Hals zu betrachten: die Stelle, die sie gestern Nacht geküsst hatte, an der sie seine salzige Haut geschmeckt hatte … bevor sie ihn gebeten hatte, aufzuhören.
„Das ist mir schon klar“, gab Leandro trocken zurück. Er lächelte zwar nicht, blickte sie aber immerhin nicht so finster an wie sonst. „Aber haben Sie mich nicht erst gestern daran erinnert, dass heute Sonntag ist und Sie sich den Tag eigentlich freinehmen wollten?“
„Ach so.“ Zoe spürte, dass sie rot wurde. Komisch, bisher hatte sie noch nie einen freien Tag vergessen.
„Also, ich …“ Ihre Kehle war trocken, wahrscheinlich lag das an dem vielen Staub im Zimmer. „Ich habe die Handwerker gehört“, erklärte sie ihm und fand sich dabei selbst nicht besonders überzeugend. „Warum arbeiten die eigentlich an einem Sonntag?“
„Weil ich ihnen einen Sonderzuschlag zahle, damit sie schnell fertig werden“, erklärte Leandro. „Ich will die Villa nämlich so bald wie möglich verkaufen. Die Männer haben Sie doch wohl nicht etwa in Ihrem Schönheitsschlaf gestört?“
„Nein …“ Wie ärgerlich, warum fiel ihr bloß keine passende Antwort darauf ein? Wieso sagte sie ihm nicht einfach, dass sie gar keinen Schönheitsschlaf nötig hatte? So hätte sie nämlich normalerweise reagiert.
Aber wenn Leandro ihr gegenüberstand, hatte sie keinerlei Zugriff mehr auf ihr Repertoire an schlagfertigen Bemerkungen. Sie war total verunsichert, und ihr Kopf schien leer zu sein. Und was noch viel schlimmer war: Sie hatte nicht mal mehr das Bedürfnis, ihm gegenüber witzig und
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