Julia Sommerliebe Band 23
sie ausgestreckt. Sie wirkte rundum entspannt, trotzdem war ihm ihr skeptischer Blick nicht entgangen, als er ihr vorhin den gemeinsamen Ausflug vorgeschlagen hatte.
Wie war er bloß auf diese verrückte Idee gekommen? Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, ihr heute überhaupt zu begegnen. Deswegen hatte er sich auch gleich morgens ins Arbeitszimmer zurückgezogen. Aber er hatte sich einfach nicht auf seine Formeln und Rechnungen konzentrieren können. Stattdessen hatte er immer wieder gelauscht, ob sie vielleicht gerade die Treppe herunterkam oder aus der Haustür ging.
Um elf Uhr war er schließlich ungeduldig geworden und hatte sie gesucht: am Anleger, im Garten, überall. Damit, dass sie im ersten Stock wie eine Besessene die Schlafzimmer putzte, hätte er nie im Leben gerechnet.
Sein Vorschlag, gemeinsam einen Ausflug zu unternehmen, hatte ihn genauso überrascht wie sie. Nach dem, was letzte Nacht zwischen ihnen vorgefallen war, hatte er sie eigentlich vollständig ignorieren wollen … um alles so schnell wie möglich unter den Teppich kehren zu können.
Aber das klappte einfach nicht. Selbst jetzt war ihm klar, dass er sich etwas vormachte, wenn er meinte, er könnte ihr ganz freundschaftlich und unverfänglich die Gegend zeigen.
Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, waren seine Absichten alles andere als unschuldig: Er hatte ihr diesen Vorschlag gemacht, weil er mit ihr zusammen sein wollte, mit ihr zusammen sein musste. Das ließ ihn verzweifeln und machte ihn gleichzeitig wütend: Warum war er eigentlich so schwach, wenn es um diese Frau ging?
Sie war doch gar nicht die richtige Gesellschaft für ihn! Dafür erinnerte sie ihn viel zu sehr an diese billige, bis über beide Ohren geschminkte Schlampe, mit der sein Vater sich überall gezeigt hatte – sehr zum Leidwesen seiner Familie.
Auch wenn er zugeben musste, dass Zoe charakterlich auf ihn einen wesentlich besseren Eindruck machte als diese Frau damals.
Jedenfalls war das Verhalten seines Vaters nicht zu entschuldigen.
Und jetzt bin ich auch nicht besser als er, sagte sich Leandro. Und ich lasse mich schon wieder in der Öffentlichkeit mit ihr sehen.
Nachdem sie etwa eine halbe Stunde lang in gemütlichem Tempo über den See gefahren waren, lenkte Leandro das Boot zu einem verwitterten Anleger hinüber, hinter dem ein dichter Wald fast bis ans Ufer reichte.
„Das ist ja eine Insel!“ Zoe klang erstaunt. Das kleine Fleckchen Land mitten im See wirkte völlig verlassen.
„Ja, das ist die Isola Comacina“, erklärte Leandro. „Die einzige Insel im Comer See. Heute gibt es hier nicht mehr viel zu sehen, aber sie hat eine sehr bewegte Geschichte.“
Er band das Boot fest und begrüßte einen alten Mann mit runden roten Wangen, der auf einem wackeligen Holzstuhl am Anleger saß, wahrscheinlich um die seltenen Besucher dieser kleinen grünen Oase zu begrüßen. Zoe kletterte aus dem Boot und ignorierte dabei diesmal die Hand, die Leandro ihr als Hilfestellung anbot. Schweigend zog er sie wieder zurück.
„Die Insel war früher eine Art Zufluchtsort“, erklärte er ihr, während sie den kleinen Weg entlanggingen, der ins Innere der Insel führte. Nach einer Weile erreichten sie eine Lichtung mit hohem Gras und einigen Platanen.
„Wirklich?“ Zoe stolperte über die Grasbüschel und wünschte sich insgeheim, Leandro würde ihr doch noch einmal seine Hand reichen. Nicht nur, weil ihre Sandaletten mit dem Keilabsatz alles andere als praktisch waren. Sie sehnte sich auch danach, seine kühlen, kräftigen Finger zu spüren.
Sie erinnerte sich nur zu genau, wie es sich angefühlt hatte, seine Hand zu halten. Einmalig, perfekt war es gewesen. Als wären ihre Finger schon ein ganzes Leben lang ineinander verschlungen gewesen. Sie wollte dieses Gefühl wieder erleben, dass sie genau an dem Platz war, der ihr vorherbestimmt war.
Kurz: Sie wünschte sich, von ihm berührt zu werden.
„Inwiefern und für wen war die Insel ein Zufluchtsort?“, hakte sie nach. Er ging direkt neben ihr, seine Hand war ihrer so nah, dass sie bloß zuzugreifen bräuchte … Zoe schluckte und sah schnell weg.
„Die Anwohner, oder jedenfalls die wohlhabenderen Anwohner, haben sich hier vor etwa tausend Jahren vor den Barbaren versteckt. Damals sah die Insel noch ganz anders aus, sie war von vielen Menschen bewohnt. Dort hinten standen zum Beispiel noch einige Häuser, und hier war sogar eine Kirche.“ Leandro wies auf den Boden, wo Zoe ein uraltes
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