Julia Sommerliebe Band 23
Steinfundament entdeckte. „Davon ist heute nicht viel übrig geblieben.“
„Stimmt“, sagte sie. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass dieser einsame, verlassene Ort einmal mit Leben gefüllt gewesen war. Jetzt hörte sie hier nur das Gras rauschen und hin und wieder den Ruf einer Möwe. „Und was ist dann passiert?“, erkundigte sie sich.
Leandro zuckte mit den Schultern und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Einige Hundert Jahre lang ging es den Menschen hier gut. Aber dann brach zwischen Como und Mailand Krieg aus, und die Mailänder Soldaten haben hier alles niedergebrannt. Schließlich wurde ein Gesetz erlassen, dass die Insel nicht mehr bebaut werden darf. Inzwischen ist das über achthundert Jahre her, und seitdem ist die Insel unbewohnt.“
„Tja, da haben die Leute den Erlass wohl ziemlich ernst genommen.“
Leandro lächelte schwach. „So sieht’s aus. Und nicht nur der Erlass ist schuld an der Einöde hier. Zusätzlich hat ein Bischof die Insel mit einem Fluch belegt. Wer hier einen Stein auf den anderen legt, soll eines schmerzhaften, unnatürlichen Todes sterben.“
„Ach, und das jagt den Leuten bis heute Angst ein?“, gab Zoe lachend zurück. Aber Leandros Miene hatte sich verdüstert, er wirkte niedergeschlagen und verängstigt.
„Allerdings … In Italien ist man ziemlich abergläubisch. Und auch wenn man selbst nicht hundertprozentig daran glaubt, tun es doch alle anderen und stecken einen mit ihren Sorgen an. Es muss schrecklich sein, unter einem Fluch zu leben. Wenn etwas seit Generationen auf einer Gegend lastet, oder auf einer Familie …“
Seine Worte durchschnitten die Stille auf der Lichtung. Zoe wurde das Gefühl nicht los, dass er aus eigener Erfahrung sprach.
„Aber die Kirche hier haben sie immerhin heil gelassen“, sagte sie betont fröhlich, um die Stimmung wieder ein wenig zu verbessern. Sie wies auf die zierliche Kirche, die von Hand gebaut war. Hier hatten die Arbeiter Stein auf Stein gesetzt und so den schmalen aber hohen Glockenturm errichtet, vor dem sie jetzt standen.
„Ja, und einige wenige Häuser sind auch heil geblieben. Vor fünfzig Jahren war das hier eine Art Rückzugsort für Künstler, die am gegenüberliegenden Seeufer ihre Hütten gebaut hatten. Seitdem hat sich das Schicksal der Insel gewandelt. Der Ort gegenüber ist inzwischen eine echte Touristenfalle mit lauter überteuerten Restaurants. Und die meisten Besucher fahren auch mindestens einmal hier herüber, auf die vermeintlich einsame Insel, um sich ein paar schöne Stunden zu machen.“
Er wies auf ihre sehr friedliche Umgebung. „Auf der dem See zugewandten Seite der Insel ist es immer viel ruhiger, so wie jetzt. Aber drüben ist manchmal ganz schön viel los.“
„Wollen wir da nachher etwas essen gehen?“, erkundigte sich Zoe und setzte eine Unschuldsmiene auf. Sie musste lächeln, als Leandro empört den Kopf schüttelte.
„Auf gar keinen Fall! Das sind nur Restaurants, die für die Touristen kochen. Es gibt hier viel bessere Lokale, echt italienische, wo die Einheimischen hingehen. Dort fahren wir nachher hin.“
Hauptsächlich schweigend erkundeten sie die restliche Insel – bis auf den touristischen Teil – und betrachteten die alten Ruinen. Zwischen den uralten Bäumen sahen sie immer wieder das leuchtend blaue Wasser des Comer Sees hervorblitzen. Zoe fühlte sich wie in einer anderen Welt.
Trotz aller Schönheit verströmte die Isola Comacina eine sehr einsame und traurige Atmosphäre – aber vielleicht lag das auch nur daran, dass Leandro ihr vom Fluch des Bischofs erzählt hatte.
Seine gedämpfte Stimmung bildete sie sich allerdings nicht ein, da war sie sich sicher. Vorhin hatte er ihr noch bereitwillig alles erklärt, aber jetzt war fast alles gesagt. Er wirkte jetzt besonders distanziert und in Gedanken versunken. Wahrscheinlich hing er gerade traurigen Erinnerungen nach …
Aber welchen? Zoe würde jetzt zu gerne seine Gedanken lesen können.
Welche Geister aus seiner Vergangenheit ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, und warum hatte er Zoe gestern Nacht so verzweifelt geküsst, obwohl er sich doch sonst so unnahbar gab?
Am liebsten hätte sie ihn einfach gefragt, aber sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde.
Schließlich stiegen sie wieder ins Motorboot und fuhren nach Bellagio, einem alten Dorf mit steilen Kopfsteinpflaster-Straßen, gesäumt von malerischen kleinen Häuschen, deren Putz im Sonnenlicht strahlte.
Zielsicher
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