Julia Sommerliebe Band 23
Sie das gerade tun! Sie treten den Nachlass Ihrer Ahnen mit Füßen!“
„Sie wissen ja gar nicht …“
„Nein, das stimmt allerdings“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Ich weiß kaum etwas über Sie. Und Sie wissen auch nichts über mich. Wer ich bin oder woher ich komme. Was ich schon alles erlebt oder gefühlt habe. Das wissen Sie alles nicht!“
Ihre Stimme bebte, und Zoe spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie zwang sich, ruhig durchzuatmen, setzte sich wieder und fuhr dann etwas leiser fort: „Warum behalten Sie Ihre miesen Spekulationen nicht einfach für sich und fahren uns jetzt nach Hause? Oder soll ich lieber sagen: zurück zur Villa? Ein Zuhause ist es für Sie ja offenbar nie gewesen!“
Eine ganze Weile lang starrte Leandro sie schweigend an. Seine Miene blieb ausdruckslos. Dann nickte er und gab impulsiv und so heftig Gas, dass sie mit haarsträubender Geschwindigkeit über den See schossen.
Auch als Leandro das Boot am Anleger festband, sprachen sie kein Wort miteinander.
In der Villa angekommen, zog er sich sofort in sein Arbeitszimmer zurück, und Zoe ging nach oben in ihr Schlafzimmer.
Allerdings kam sie auch dort nicht zur Ruhe. Sie legte sich aufs Bett und sah der Sonne dabei zu, wie sie langsam immer tiefer sank, fühlte sich dabei taub und leer. Immer wieder gingen ihr Leandros Worte durch den Kopf.
Sie kommen mir eher wie ein Mädchen vor, das sich einfach nimmt, was es will, solange es die Möglichkeit dazu hat. Sie sind eine Frau, die ihren Spaß haben will und sich nicht weiter um die Folgen schert. Und der nichts im Leben wirklich wichtig ist.
In drei Sätzen hatte er gemeint, ihre ganze Persönlichkeit zusammenfassen zu können. Und sie damit bereitwillig verurteilt.
Mit vielem hatte er sogar recht gehabt: Früher war sie wirklich so gewesen, hatte auch so sein müssen … zumindest nach außen hin. Da war es immer besser gewesen, so zu tun, als wäre ihr alles egal. Und noch besser war es gewesen, wenn das tatsächlich stimmte. Dann tat es nicht so weh, schon wieder umziehen zu müssen – weil ihre Mutter beschlossen hatte, dass sie unbedingt weiterwollte.
Nicht weinen, Zoe … da, wo wir jetzt hinziehen, wird alles viel besser …
Aber auch dort waren sie nicht lange geblieben, schon bald hatten sie wieder ihre Koffer gepackt. Und noch mal und noch mal und noch mal – immer wieder. Woanders war es immer schöner, fand ihre Mutter, sie kam nie zur Ruhe. Und Zoe hatte diese Einstellung irgendwann übernommen. Einen anderen Lebensstil hatte sie nie kennengelernt, außerdem bot er ihr eine gewisse Sicherheit. Dadurch gab es nämlich niemanden, der sie enttäuschen konnte, weil sie vorher schon längst über alle Berge war.
Bis jetzt.
Und dabei war sie doch eigentlich nach Italien gekommen, um die Sache mit Steve zu vergessen! Das hatte auf jeden Fall gut funktioniert. Steve konnte sie jetzt nicht mehr verletzen, er spielte überhaupt keine Rolle mehr in ihrem Leben.
Stattdessen gab es einen anderen Mann, für den sie viel intensiver und tiefer empfand. Gefühle, die so überwältigend waren, dass es ihr die Kehle zuschnürte.
Und dieser Mann war Leandro. Er bedeutete ihr etwas, sein Palazzo bedeutete ihr etwas. Zusammen mit ihm in diesem Haus zu leben …
Zum ersten Mal in ihrem Leben wohnte sie nicht in einer heruntergekommenen Einzimmerwohnung oder einer schmutzigen kleinen Pension. Zum ersten Mal in ihrem Leben ging es nicht nur um einen dummen kleinen Job.
Dass Leandro dieses wunderbare Zuhause hatte, es aber einfach verkaufen wollte, machte sie gleichzeitig traurig und wütend. Zoe wischte sich die Tränen ab, die sie bis eben gar nicht bemerkt hatte. Allmählich hüllte die Abenddämmerung den See in einen grauen Nebel, und sie döste langsam ein.
Als sie wieder aufwachte, war sie zunächst desorientiert und benommen. Inzwischen war es Nacht, und die blasse Mondsichel warf ihr karges Licht ins Zimmer. Irgendwo knarrte ein Fensterladen, eine Windböe schlug ihn gegen den Rahmen. Zoe erschauerte. Gruselig … Gleichzeitig fühlte sie sich schrecklich einsam, also stand sie auf und ging nach unten.
In der Küche holte sie das Risotto aus dem Kühlschrank, das vom letzten Essen übrig geblieben war. Sie aß es einfach kalt, direkt aus der Schüssel.
Eine tiefe Traurigkeit überkam sie. Durch das Küchenfenster blickte sie auf den dunklen See, der ebenfalls ein trauriges Bild abgab. Wegen des starken Windes war kein einziges beleuchtetes Boot
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