Julia Sommerliebe Band 23
führte Leandro sie zu einem Café, das in einer winzigen Seitenstraße versteckt lag. Sie waren die einzigen Gäste.
Die Wirtin, eine kleine alte Frau mit wirrem ergrautem Haar und einem Kopftuch, das dieses nur dürftig bändigte, widmete ihnen sofort ihre volle Aufmerksamkeit.
„Signor Filametti, è da tanto tempo !“, rief sie aus, und Zoe blickte überrascht auf. Sie verstand zwar nicht, was die Frau gesagt hatte, hatte aber Leandros Namen herausgehört. Also kannte man ihn hier auch – nicht nur in Menaggio.
Er war wirklich berühmt in der Gegend, wie man an dem Verhalten der Wirtin merken konnte. Sie war sehr eifrig, unablässig brachte sie ihnen etwas an den Tisch: Speisekarten, Brot und einen Teller mit Oliven in Öl und Kräutern.
Eigentlich sollte mich das nicht überraschen, dachte Zoe. Wenn die alte Villa seit Jahrhunderten in Leandros Familienbesitz war, kannte man ihn hier natürlich.
Allerdings führte er sich gar nicht so auf wie der Sohn einer wohlhabenden, einflussreichen Familie. Im Gegensatz zu Steve, der sich immer gern damit gebrüstet hatte. Leandro wiederum schien seine Herkunft eher als Bürde zu empfinden.
Er wechselte nur noch ein paar kurze Worte mit der Wirtin, dann klappte er die Speisekarte auf und gab der freundlichen Frau zu verstehen, dass er sich erst einmal in Ruhe einen Überblick verschaffen wollte.
Sofort verschwand sie geschäftig und noch immer redend im hinteren Bereich des Restaurants.
Doch Zoe wurde den Eindruck nicht los, dass Leandro die Aufmerksamkeit, die ihm ununterbrochen von allen Seiten zuteil wurde, unangenehm war. Er wollte seine Ruhe haben.
„Die alte Dame scheint Sie ja gut zu kennen“, bemerkte Zoe und ließ den Blick über das für sie unverständliche Italienisch der Karte schweifen. Normalerweise verstand sie wenigstens „Pizza“ oder „Pasta“, aber diese Speisekarte hier war fraglos exquisiter.
Leandro zögerte einen Moment lang. „Ja“, erwiderte er schließlich tonlos.
Sie beschloss, das Thema nicht weiterzuverfolgen. Offenbar war es ihm noch immer unangenehm.
„Können Sie mir irgendetwas empfehlen?“, erkundigte sie sich stattdessen. „Ich verstehe nämlich kein Wort.“
Müde lächelnd blickte Leandro auf. „Stand in Ihrem Lebenslauf nicht, dass sie Italienisch-Kenntnisse haben?“
Wirklich, hatte sie das geschrieben? Zoe biss sich auf die Lippe. „Na ja, ein paar Worte spreche ich schon“, sagte sie. „Sì, ciao, grazie …“
Leandros Lächeln wurde immer breiter. „Dann beherrschen Sie die Sprache ja praktisch fließend.“
„Na ja, ich habe mir immerhin einen Sprachführer gekauft“, gab Zoe zurück und erwiderte sein Lächeln. „Angeguckt habe ich ihn mir auch schon ein- oder zweimal.“
Er schüttelte den Kopf, aber ganz offensichtlich war er nicht verärgert. Das erkannte sie sofort. Er wirkte eher belustigt. „Sie sind wirklich ein hoffnungsloser Fall.“
„Warum haben Sie mich denn dann engagiert?“
Er blickte auf und fixierte sie. „Weil sie genau meinen Anforderungen entsprechen.“
„Zu denen gehören dann wohl keine Italienisch-Kenntnisse. Was sind denn Ihre Anforderungen?“ Sie hielt die Luft an und wartete gespannt auf seine Antwort.
„Ich habe jemanden gesucht, der weder mich noch meine Familie kennt“, erwiderte er tonlos.
Oh, hatte sie sich etwa eine spannendere Antwort erwartet? Dieses nüchterne Statement erstaunte sie.
Leandro erklärte knapp: „Eine völlig Fremde sozusagen.“ Sein Lächeln war wie weggewischt. Als er sich wieder der Speisekarte zuwandte, kam es Zoe wie eine Abfuhr vor.
Stimmt, dachte sie. Eine Fremde bin ich für ihn allerdings. Aber warum ist ihm das so wichtig? Irgendwie ist das eine komische Anforderung an eine Bedienstete.
Erneut fragte sie sich, was sich wohl in seiner Vergangenheit zugetragen hatte. Welche dunklen Geheimnisse dort lauerten.
Leandro bestellte ihnen eine raffinierte Pasta mit Meeresfrüchten und einen Salat. Eigentlich hätte ein schönes, gemütliches Essen daraus werden können, wenn nicht so eine gedrückte Stimmung zwischen ihnen geherrscht hätte …
Leandro hatte sich ganz in sich zurückgezogen, und Zoe kam es vor, als wäre sie für ihn nur noch eine Belastung. Als hätte sie sich ihm aufgenötigt. Dabei hatte er sie doch zu diesem Ausflug eingeladen!
„Und was machen wir jetzt?“, erkundigte sie sich, als sie gemeinsam das Lokal verließen.
„Wir gehen wieder zum Boot.“ Leandro blickte nach oben. Inzwischen war es
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