Julia Sommerliebe Band 24
Notfall gut hinter sich gebracht, und damit war ihm eine große Last von den Schultern genommen.
Später an diesem Morgen hätte er seine Meinung beinahe wieder geändert. Er hatte vergessen, dass heute die Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere stattfanden. Mit einem Herzinfarkt kam er klar, aber der Anblick werdender Mütter war für ihn noch immer schwer zu ertragen.
Als Bonnie gegen elf Uhr auftauchte, hatte er zwar sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden, war aber trotzdem froh, ihr das Feld überlassen zu können.
Bonnie dagegen freute sich, dass ihre Kenntnisse als Hebamme gefragt waren. Umso mehr, als sie sah, wer ihre ersten Patienten waren. „Na, wie geht’s?“
Bernie schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und stieß seine Freundin in die Seite. „Das ist die Schwester, von der ich dir erzählt habe.“
Auch Harry musste grinsen. „Ich habe Tameeka gerade erklärt, dass sie sich rechtzeitig vor der Geburt eine Unterkunft in Alice Springs suchen soll, damit sie in der Nähe einer großen Klinik ist. Am besten schon sehr bald, denn sie hat nur noch fünf Wochen bis zu ihrem Termin.“
Bonnie entging nicht der betretene Blick, den die beiden Teenager tauschten. Hier war Diplomatie gefragt. „Die meisten Frauen machen sich zwei Wochen vor dem Termin auf den Weg, wenn sie sich überhaupt dafür entscheiden, ihr Baby im Krankenhaus zur Welt zu bringen.“
„Da bin ich anderer Meinung“, sagte Harry mit Nachdruck. „Gerade beim ersten Kind ist es deutlich sicherer, eine gut ausgestattete Klinik in der Nähe zu haben.“
Bonnie zwang sich, ruhig zu bleiben. Merkte Harry nicht, wie er die junge Frau verunsicherte?
Sie versuchte eine andere Strategie. „Hast du denn jemanden, bei dem du in Alice Springs wohnen kannst, Tameeka?“
Unglücklich schüttelte das Mädchen den Kopf und sah Hilfe suchend zu Bernie, der an ihrer Stelle antwortete. „Sie wird schlimmes Heimweh haben, weil ich nicht mitkommen kann. Ich kann meinen Job hier nicht im Stich lassen. Aber sie muss jetzt noch nicht gehen. Es ist doch noch ne Menge Zeit.“
Bonnie hob fragend die Augenbrauen. „Und wirst du sie dann auf dem Motorrad in die Stadt fahren, wenn die Wehen einsetzen?“
„Nee“, lachte Bernie. „Mein Cousin hat ein Auto. Er bringt uns hin. Es sind bloß fünf Stunden Fahrt.“
Harry schüttelte vehement den Kopf. „Wenn sie erst richtige Wehen hat, ist es zu spät. Ihr solltet vernünftig sein.“ Er warf Bonnie einen mahnenden Blick zu. „Überlegt euch eine Lösung.“ Damit verließ er den Raum.
„Was hat den denn gebissen?“, fragte Bernie neugierig.
„Abgesehen davon, dass er die ganze Nacht bei einem Notfall war und nicht geschlafen hat, will er nur das Beste für Tameeka und euer Baby.“ Innerlich kochte Bonnie vor Wut. Was für ein Aufstand wegen nichts.
Wenn sie Tameeka zu früh fortschickten, würde sie vor lauter Heimweh gleich wieder zurückkommen und sie müssten sie ein zweites Mal dazu überreden, die Reise nach Alice Springs anzutreten. Bonnie hatte solche Fälle schon oft erlebt. Man musste behutsam vorgehen.
Verstand Harry denn nicht, dass die junge Frau große Angst davor hatte, ihr Kind ganz alleine in einer fremden Stadt zur Welt zu bringen? Bonnie ahnte, dass die Zusammenarbeit mit Harry auch ihre anstrengenden Seiten haben konnte.
Harry verließ unterdessen immer noch aufgebracht die Klinik. Er spürte ein vertrautes Gefühl von Panik, das sich wie eine eiserne Klammer um seine Schultern legte.
Er hatte die Situation so lange im Griff gehabt, bis ihm bewusst geworden war, dass Tameeka sich in der fünfunddreißigsten Woche ihrer Schwangerschaft befand. Genau wie seine Frau, als sie starb.
In diesem Moment war eine lähmende Furcht in ihm aufgestiegen. Am liebsten hätte er Tameeka auf der Stelle ins Flugzeug gesetzt und die Verantwortung abgegeben. Sollten sich doch die Kollegen in Alice Springs um sie kümmern, bis das Baby gesund auf der Welt war.
Tief in seinem Herzen wusste er, dass Bonnie recht hatte. Es konnte noch gut und gerne vier Wochen dauern, bis bei Tameeka die ersten Wehen einsetzten. Jemand wie er, der alles Vertrauen in den natürlichen Prozess der Geburt verloren hatte, sollte nicht auf Schwangere losgelassen werden.
Mit übertriebenem Aktionismus war niemandem geholfen. Wenn sie Tameeka zu früh wegschickten, würde sie wiederkommen, und dann schafften sie es womöglich nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus, wenn die Wehen einsetzten. Ganz zu schweigen
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