Julia Sommerliebe Band 24
Wartezimmer.
„Ich dachte, ich komme besser gleich wegen der Impfung, bevor ich es vergesse“, sagte Shay. Bonnie gelang es, das kleine Mädchen abzulenken, als sie die Nadel setzte, und es floss keine einzige Träne. Shay lächelte. „Sie können wirklich gut mit Kindern umgehen. Das werde ich gleich meinen Freundinnen erzählen.“
Als der Tag zu Ende ging, verspürte Bonnie eine bleierne Müdigkeit. Egal wie sehr sie es versuchte, sie konnte nicht aufhören, an Harry zu denken. Dass sie den ganzen Tag mit ihm zusammenarbeiten musste, machte die Sache nicht besser. Sie ging früh zu Bett, doch es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie eingeschlafen war.
Um Mitternacht riss sie das Klingeln ihres Telefons aus dem Schlaf. Die Nachtwache meldete einen Notfall.
„Eine Dame aus einem der Hotels hat gerade angerufen. Ihr Ehemann hat schlimme Schmerzen in der Brust. Sie sagt, er sei schon blau angelaufen. Ein Mann vom Sicherheitsdienst des Hotels holt Sie und den Doktor gleich mit dem Rettungswagen ab, damit wir keine Zeit verlieren.“
Bonnie war bereits aus dem Bett gesprungen. „Selbstverständlich. Gibt es jemanden vor Ort, der eine Herzdruckmassage durchführen kann?“
„Der Nachtportier kennt sich mit Erster Hilfe aus. Er ist schon dabei, zusammen mit der Ehefrau.“
„Sehr gut. Wir kommen.“ In Windeseile tauschte Bonnie ihr Nachthemd gegen Hose und Pullover. Nachts konnte es empfindlich kalt werden, auch wenn das Adrenalin sie bereits wärmte. Als sie ihre Schuhe anzog, hörte sie Harry auf dem Flur rumoren. Sie öffnete ihre Zimmertür, bevor er klopfen konnte.
„Du bist schon fertig. Gut.“ Sie eilten die Treppe hinunter und sahen bereits den Rettungswagen um die Ecke biegen.
Wenn er wollte, war er also durchaus in der Lage, schnell entschlossen zu handeln, dachte Bonnie. Von der Seite betrachtete sie Harrys Gesicht, während sie die kurvige Straße zwischen den Bungalows entlangfuhren.
Obwohl dies sein erster Notfalleinsatz seit langer Zeit war, wirkte er ruhig und konzentriert. Ganz anders als an jenem Tag auf Bali. Hinter ihrem Rücken kreuzte Bonnie die Finger. Hoffentlich würde auch dieser Einsatz glücklich enden.
Die Tür des Hotelbungalows stand offen. Harry war bereits im Flur verschwunden, während Bonnie den Defibrillator auslud. Als sie das Zimmer betrat, sah sie zuerst den Nachtportier, der neben dem Patienten kniete und in regelmäßigen Abständen dessen Brustkorb zusammendrückte. Eine zierliche blonde Frau um die fünfzig hielt ihrem Mann die Atemmaske über Mund und Nase und drückte nach jeweils dreißig Kompressionen den Beatmungsbeutel zweimal zusammen. Die fünf Minuten, die Bonnie und Harry seit dem Anruf gebraucht hatten, mussten den beiden wie eine Ewigkeit vorgekommen sein.
Harry kniete sich neben den Portier und übernahm die Herzmassage.
Bonnie beugte sich über den Patienten und knöpfte sein Pyjamaoberteil auf. „Sie machen das großartig“, sagte sie zu seiner Frau. „Halten Sie noch einen Moment durch, dann nehme ich Ihnen den Beutel ab.“ Sie holte einen Einwegrasierer aus dem Notfallkoffer und entfernte mit einem geübten Schwung die Brusthaare des Mannes an zwei Stellen, damit sie die Elektroden des Defibrillators ansetzen konnte.
Dann nahm sie der Frau den Beatmungsbeutel aus der Hand und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Alles wird gut.“ Harry beendete die Druckmassage und kontrollierte den kleinen Monitor.
‚Treten Sie vom Patienten zurück. Drücken Sie den Schock-Knopf‘, ertönte die automatische Sprachansage des Geräts.
„Wir sind so weit.“ Harry sah sich kurz um, um sicherzugehen, dass die Elektroden fest angebracht waren und niemand mehr den Mann berührte. Dann löste er den Elektroschock aus. Der Körper des Patienten zuckte unter dem Impuls und lag dann wieder ganz still.
Bonnie hörte, wie seine Frau nach Luft schnappte, und drehte sich kurz zu ihr, um sie zu beruhigen. „Er kann es nicht spüren; er ist bewusstlos.“
Jedenfalls hoffte sie, dass der Mann nur bewusstlos war. Sie gingen wieder für zwei Minuten zur Herz-Lungen-Wiederbelebung über und schrieben dann ein EKG. Ein viel zu schwacher Herzschlag war darauf zu erkennen. Nach einer weiteren Runde Elektroschocks und Herzdruckmassage begann der Patient leise zu stöhnen und bewegte sich kaum merklich. Bonnie schöpfte neue Hoffnung.
Das nächste EKG zeigte eine deutliche Herzaktivität, und die Haut des Mannes nahm langsam wieder eine gesündere Farbe
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