Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Präsidenten, den Menschen nicht die Hoffnung zu nehmen und das Ansehen der Revolution nicht zu zerstören. 20 Minuten vor der Fernsehansprache, in der er den Rücktritt der Regierung verkünden wollte, schlug ich ihm vor: Lassen Sie uns jetzt Hand in Hand gemeinsam vor die Presse treten. Es gab einen Augenblick, da schien der Präsident in seinem Entschluss zu schwanken … Da stürzte Petro Poroschenko in Tränen aufgelöst herein … Der Präsident erhob sich, schaute mich an, drehte mir dann den Rücken zu und sagte: ›Das Gespräch ist beendet.‹«
Ein anwesender Gegner Julia Timoschenkos bemerkt höhnisch, in den Reihen der Anhänger der Ex-Ministerpräsidentin sei an dieser Stelle Schluchzen zu hören gewesen. Der Hohn war unangebracht, denn es liefen echte Tränen.
Der erschöpfte und tief verärgerte Juschtschenko entließ alle – das gesamte Ministerkabinett mit Julia Timoschenko an der Spitze, Petro Poroschenko als Sekretär des Sicherheitsrates, seinen wichtigsten persönlichen Mitarbeiter, Oleksandr Tretjakow, und den Chef des Sicherheitsdienstes, Oleksandr Turtschinow.
Erst mehrere Wochen später, nachdem der Widerstand der Rada gebrochen war, gelang es ihm im zweiten Anlauf, den sanften, ihm ergebenen Juri Jechanurow als Ministerpräsidenten durchs Parlament zu bringen. Die Revolution in der Ukraine war beendet. Eine neue Etappe wurde eingeläutet – der Wahlkampf. Eine Zeit der Wirren, die Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko wieder getrennt sah. So war es eigentlich fast immer gewesen. Sie sind noch keine Feinde. Aber sie sind auch keine Verbündeten mehr. Möglicherweise werden sie politische Konkurrenten, denen wohl gar nicht ganz klar ist, worin ihre Differenzen eigentlich bestehen.
Zwanzigstes Kapitel
Janukowitschs Rückkehr
Im November 2005 standen Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko erneut Schulter an Schulter auf der Bühne des Maidan. Der Präsident der Ukraine und die von ihm entlassene Ministerpräsidentin umarmten einander bei ihrer Zusammenkunft, schauten dabei aber in verschiedene Richtungen. Die ehemaligen Verbündeten und Kampfgefährten hätten es eigentlich vorgezogen, sich an diesem Tag überhaupt nicht zu begegnen. Aber es half nichts: Es war ein Feiertag, einer für alle.
Am Revolutionsfeiertag fiel der Startschuss für den Wahlmarathon. Im Kampf um die meisten Sitze in der Obersten Rada wurden die ehemaligen Kampfgefährten nun zu Konkurrenten.
Dabei war bereits klar, dass weder die Partei »Unsere Ukraine« von Viktor Juschtschenko noch der Block von Julia Timoschenko die Mehrheit der Stimmen erhalten würde. Nach dem Regierungsrücktritt im September hatte die Popularitätsquote von Janukowitsch, den man auf dem Maidan für immer ins politische Aus getrommelt zu haben schien, jäh zu steigen begonnen. Im November zweifelte niemand mehr am Sieg seiner »Partei der Regionen«. Der Kampf zwischen den beiden Helden des Maidan wurde also um den zweiten Platz ausgetragen. Timoschenko träumte von einer Rückkehr in das Amt der Ministerpräsidentin. Juschtschenkos Strategen in der Partei »Unsere Ukraine« hingegen sahen ihre Hauptaufgabe darin, sie nicht an die Macht zu lassen. Janukowitsch verfolgte schadenfroh und mit großem Interesse die Auseinandersetzung im Lager seiner Gegner. Sie waren es, die ihm den Weg zum Sieg ebneten.
Deswegen war die Hauptattraktion auf dem festlich geschmückten Maidan durchaus nicht die kühle Umarmung Timoschenkos und Juschtschenkos, sondern das Erscheinen von Lady Ju auf dem ruhmreichen Platz. Gehüllt in einen weißen, fließenden Mantel und mit einem orangenen Schal um den Hals schwebte sie über die Köpfe der Menschenmenge hinweg, die ihren Namen skandierte. Die zarte »orangene Prinzessin« wurde auf den breiten Schultern zweier Leibwächter zu dem erstarrten Präsidenten und dem sich bei diesem Schauspiel verhaspelnden Ministerpräsidenten auf die Bühne gehoben. So trägt das männliche Corps de Ballet normalerweise seine Primadonna auf die gleißend helle Bühne der Wiener Staatsoper. Und so betritt eine Musicalheldin in einem umwerfenden Flitterkostüm einen der berühmten Bretterböden am Broadway.
Ihren 45. Geburtstag feierte Timoschenko in Dnipropetrowsk, wohin sie sich direkt vom Maidan aus auf den Weg machte. Die Wahlkampfshow nahm Fahrt auf. Sie besuchte das Haus ihrer Kindheit, die Schule, in die sie gegangen war, und ihre Universität. Es gab rührende Erinnerungen und feierliche Reden, alte Lehrer und
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