Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
junge Schülerinnen, Tränen, glückliches Lachen, Umarmungen und Blumensträuße in knisterndem Zellophan. Ihre gealterten Klassenkameraden warteten geduldig auf die Kolonne schwarzer Wagen. Neben ihnen nahm sich die blendend schöne Lady Ju, die würdig und elegant aus ihrem Mercedes stieg, wie eine ewig junge Diva aus. Einer Schülerin der achten Klasse der Schule Nr. 75 flocht Julia Timoschenko vor einer großen Ansammlung von Fernsehkameras und gerührten Zuschauern ihren berühmten Zopf. Das ergriffene Mädchen tat vor den Journalisten den Schwur, sich nie mehr den Kopf waschen zu wollen, den die lieben Hände der ehemaligen Ministerpräsidentin berührt hatten.
Zu Beginn der Wahlkampfshow von Julia Timoschenko stand die Liebe im Mittelpunkt, symbolisiert von einem purpurroten Herz – dem Emblem ihres Blocks. Ein plakatgroßer Kalender für das kommende Jahr, auf dem die in Ungnade gefallene Ministerpräsidentin in einem flauschigen, weißen Pullover einen zarten Spross in den Händen hielt, versprach ein »Frühlingserwachen«. Zweifelsohne war dabei von den Wahlen am 26. März 2006 die Rede.
Die Ernüchterung kam mit den ersten Umfrageergebnissen. Wie sich zeigte, hatte der äußerlich effektvolle Beginn des Wahlkampfs nicht jene Dividenden erzielt, mit denen sie gerechnet hatte. Offenbar waren die Wahlen nicht allein mit der Kraft der Liebe zu gewinnen.
Der Umbruch kam zu Neujahr.
In jenen Tagen verfolgte die beunruhigte Weltöffentlichkeit erneut die Nachrichten aus Kiew.
Rache ist ein Gericht, das kalt serviert wird, sagt ein russisches Sprichwort. Exakt ein Jahr hatte der russische Präsident sich geduldet und gewartet. Er hatte seine Niederlage ertragen, die Geschichte mit den peinlichen Glückwünschen an Janukowitsch, den Sieg der Revolution, die langsame Hinwendung der Ukraine gen Europa. Wladimir Putin wartete auf den Winter. Im Winter wollte er Vergeltung üben für alle seine Niederlagen.
Angeblich ging es darum, den zwischenstaatlichen Zahlungsausgleich für russisches Gas fortan an marktwirtschaftlichen Realitäten zu orientieren. Nach der Logik von Gazprom kam das einer fast fünffachen Preiserhöhung gleich. Doch die Rhetorik des freien Marktes überzeugte niemanden in der Welt. Jedem war klar, dass der Kreml beim Gas-Streit mit seinem ehemaligen Satelliten politische Ziele verfolgte. Dass er die zu unabhängige und zu stark an sich und Europa denkende Ukraine in die Knie zwingen wollte. Ihr wollt den Westen? Dann zahlt gefälligst europäische Preise! Das könnt ihr nicht? Dann willkommen bei uns im Osten.
Auf den Fernsehbildschirmen drehten die Verantwortlichen von Gazprom vor laufender Kamera den Gashahn an der russisch-ukrainischen Grenze zu. Die Kommentatoren stellten düstere Zukunftsprognosen. Die Nachrichtensendungen erinnerten an Horrorfilme.
Die russisch-ukrainischen Verhandlungen waren in eine Sackgasse geraten und stagnierten über Wochen. In der Nacht zum 4. Januar jedoch, als der Gashahn schon fest zugeschraubt war, Westeuropa aufgrund der Minderlieferungen von Gas fast Panikattacken bekam und Juschtschenko in der Klemme saß, fand man plötzlich eine seltsame Lösung. Kiew und Moskau schlossen einen Rahmenvertrag. Gaszulieferer für die Ukraine wurde erneut die Firma »RosUkrEnergo«, deren Aktionen auf Verfügung von Ministerpräsidentin Timoschenko vom Sicherheitsdienst unter der Leitung von Turtschinow kontrolliert werden sollten. Der Gaspreis stieg nicht um das Fünffache, sondern verdoppelte sich. Dabei wurde »RosUkrEnergo« zum alleinigen Zulieferer nicht nur des russischen, sondern auch des turkmenischen Gases, das sich ebenfalls um das Zweifache verteuerte.
Der Vertrag ließ Europa erleichtert aufatmen (die Lieferungen erfolgten wieder im früheren Umfang), in Kiew jedoch löste er einen politischen Sturm aus. Gegen Juschtschenko und die Regierung von Jechanurow schlossen sich nun die gegensätzlichsten politischen Kräfte zusammen, die noch ein Jahr zuvor unversöhnlich gewesen zu sein schienen. Das Parlament stimmte für den Rücktritt des Kabinetts. Die empörteste Kritikerin des Gasvertrags indes war die ehemalige Gasprinzessin. Die in Moskau getroffene Vereinbarung war nach Timoschenkos Meinung ein Verrat an den staatlichen Interessen der Ukraine. Sie bezeichnete diese Art des Gashandels als korrupt, und die in der Schweiz registrierte Firma »RosUkrEnergo« als einen »Futtertrog für Diebe«. Sie erinnerte an die Untersuchung des ukrainischen
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