Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
Sicherheitsdienstes, daran, dass sich hinter dem Schweizer Trader ukrainische und russische Beamte verbargen und überdies eindeutige Betrüger. Sie schlug dem Präsidenten vor, die unterschriebenen Vereinbarungen zu zerreißen, die alten Kränkungen zu vergessen und sie persönlich mit der Leitung einer ukrainischen Delegation bei den Gesprächen in Moskau zu betrauen.
Bei einer Analyse des neuen Gasabkommens gab die Mehrheit der ukrainischen und westlichen Experten Julia Timoschenko recht. Der eilig unterschriebene Vertrag barg tatsächlich jede Menge strategischer Gefahren für die ukrainische Wirtschaft und damit für die Unabhängigkeit des Landes.
Julia Timoschenko war wieder die Alte. Bis dahin hatte es ihrem Wahlkampf an Schärfe und Zorn gefehlt, am berauschenden Eifer des Kampfes. Jetzt war sie wieder ganz in ihrem Element.
Mit der Liebe als Symbol des Wahlkampfs war es von nun an vorbei. Die PR-Leute aus dem Stab des Blocks Julia Timoschenko legten Lady Ju auf den Wahlplakaten anstelle einer Rose des Friedens ein Samuraischwert in die Hände. Ein 30-minütiger Film über sie titelte entsprechend: »Julia. Der letzte Samurai«. Auf einem anderen Plakat lenkte eine ungestüme Timoschenko ein brausendes Motorrad.
Lady Ju begab sich währenddessen unters Volk.
Innerhalb von drei Monaten hielt sie über 300 Kundgebungen ab. Das waren 100 Kundgebungen pro Monat. Sie fuhr in ausnahmslos alle Regionen des Landes und machte dabei keinen Unterschied zwischen den regionalen Zentren und kleinen, abgelegenen Städtchen, in die noch nie ein Kiewer Politiker seinen Fuß gesetzt hatte. Manchmal hatte sie kaum mehr als ein paar Hundert Zuhörer. Manchmal auch, wie im Westen des Landes, wollten sie ganze Städte sehen. Sie sprach in Betrieben, auf Kongressen von Ärzten und Unternehmern, in Kinderheimen und Schulen. Mehr als alles jedoch zog es sie unter den freien Himmel, auf die nasskalten Unabhängigkeitsplätze der Städte. Weder Regen noch Schnee konnten sie aufhalten. Sie mummte sich in ihren Pelz, griff aber weder zu Hut noch Mütze. Jeder Wähler sollte das Recht haben, ihren zum Heiligenschein gelegten Zopf selbst in Augenschein zu nehmen.
Wie im Jahr zuvor hielt sie sich in ihrer Ausdrucksweise nicht zurück. Sie bezeichnete Janukowitsch als »Monster«. Seine »Partei der Regionen« sei keine Partei, sondern ein Finanz- und Industrie-Clan: »Auf Janukowitschs Liste stehen nicht nur Vorbestrafte, sondern auch solche, nach denen wegen eines Straftatbestands gefahndet wird; solche, die gemordet haben …«, behauptete sie. »Janukowitsch schneidet in Umfragen nicht deswegen leidlich ab, weil er lesen und schreiben gelernt hat. Es war die orangene Mannschaft selbst, die dieses Monster herangezüchtet hat.« Sie sprach von einer Verschwörung der »alten und neuen Clans« innerhalb der Machtelite des Landes: »Unsere Mannschaft um den Präsidenten wollte den Clans die Hauer ausreißen, sie kein Fleisch ansetzen lassen. Aber es gab eine zweite Gruppe, die Kutschmas geheime Amnestie betrieb. Bereits einen Monat später gingen die alten und neuen Clans zusammen frühstücken und zum Mittagessen, und ein halbes Jahr später ernannten sie ihre neuen Regierungsmitglieder.«
Am Ende des Wahlmarathons hatte sie sich heiser geredet. Zu einem ihrer wenigen Interviews für den nationalen Fernsehkanal erschien sie mit 38,9 Grad Fieber. Es gab sogar Meldungen, die besagten, die Pressestelle des Blocks Julia Timoschenko ließe keine Fotos mehr von ihr publizieren, um ihre Anhänger nicht durch den Anblick der roten Erkältungsnase der Prinzessin und ihrer vor Anstrengung rot unterlaufenen Augen zu verschrecken.
In diesen Wochen vor der Wahl gelang ihr das Unvorstellbare. Timoschenko krempelte die Stimmung der Wählerschaft zu ihren Gunsten um. Millionen ihrer Landsleute konnte sie davon überzeugen, dass sie den Idealen des Maidan treu geblieben war, und zwar nur sie allein. Ihr gewaltiger Endspurt war vom Sieg Lady Jus in ihrem ewigen Widerstreit mit der machthabenden Partei gekennzeichnet.
Erneut waren die Karten neu gemischt.
Generell gab es bei den Wahlen zur Obersten Rada mehrere Gewinner. Formal stand Viktor Janukowitsch erwartungsgemäß an der Spitze des parlamentarischen Rennens – seine »Partei der Regionen« führte die Liste mit 32 Prozent der Stimmen an. Der Block Julia Timoschenko lag um fast 10 Prozent hinter ihm. Dafür wurde er der erste in 14 Regionen des Landes, einschließlich der Hauptstadt.
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