Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie
ihren Helfershelfern »die Macht zynisch und systematisch für eigene Ziele benutzen«. Auch persönliche Kränkung verbirgt er nicht: »Ein weiterer Grund für meinen Rücktritt liegt darin, dass der Präsident bei der Führung des Landes nur noch auf den Rat von Poroschenko hört.« Sintschenko ist äußerst erregt und aufrichtig. Später stellt sich etwas Interessantes heraus. Zwar finden die Staatsanwälte, die seine Anschuldigungen prüfen, »keine Beweise« für Korruption, aber das ukrainische Volk glaubt nach Umfragen der Soziologen in seiner Mehrheit Sintschenko. Das ist ein weiterer Schlag für den Präsidenten, der ihn hart trifft. Er wiegt umso schwerer, als in der neuen Ukraine der Erste Mann im Staate die Öffentlichkeit nicht mehr ignorieren kann.
Im Frühherbst steckt das Land mitten in einer Krise, die binnen weniger Tage das ganze System von Kontrolle und Ausgleich hinwegfegt, das Juschtschenko nach seinem Sieg aufgebaut hat. Er und Poroschenko sind sicher, dass die »Provokation« von Sintschenkos Rücktritt auf das Konto von Lady Ju geht. Im Grunde ist der Präsident bereits an jenem 6. September bereit, sie aus dem Amt zu jagen. Aber wie stets schwankt er. Der Hauptgrund sind die Parlamentswahlen im März, wo er wenigstens nach außen mit einer geschlossenen Mannschaft antreten muss. Wenn es bei dem Konflikt nur um die Bestechlichkeit Poroschenkos ginge, könnte man eine große Rücktrittswelle vermeiden. Mit Ermahnungen und Beruhigungsgesten hätte er dann die Möglichkeit, seine Mannschaft ohne größere Verluste in die Wahlen zu führen. Das Problem liegt nur darin, dass der Skandal mit Sintschenko nicht die Ursache, sondern die Folge des Zerwürfnisses war. Er hat eindeutig gezeigt: Zwischen den Helden des Maidan gähnt eine tiefe Kluft. Und es brauchte nur noch einen Anlass, um das Gerangel hinter den Kulissen offenbar werden zu lassen. Um zu zeigen, dass die Revolution ihre Kinder fraß.
Der Anlass fand sich bald. Im September spitzte sich die Debatte um das Schicksal des Werkes für Ferrolegierungen in Nikopol (NFS) heftig zu. Diese Perle der ukrainischen Wirtschaft war wie eine Reihe ähnlicher Kostbarkeiten unter Kutschma dessen Schwiegersohn Viktor Pintschuk zugefallen.
Nicht anders als bei »Kriworischstal« und Tausenden anderer Unternehmen war es auch bei der Privatisierung von NFS zu zahlreichen Rechtsverletzungen gekommen. Igor Kolomoisky, ein anderer ukrainischer Oligarch, hatte damals das Nachsehen. Die Finanz-Industrie-Gruppe »Privat«, die er kontrollierte, hielt sich seitdem von der Politik fern. Kolomoisky hatte sich in die Schweiz zurückgezogen und verwaltete von dort aus sein Vermögen. Jetzt hielt er die Zeit für gekommen, der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. In einem seltenen Interview formulierte er seine Botschaft an den vormals siegreichen Konkurrenten so offen, wie es in der Zeit der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals zugegangen sein muss: »Im Jahre 2003 haben wir Pintschuk gewarnt: ›Das Leben ist ein Supermarkt, nimm, was du willst, aber bedenke, am Ende musst du zur Kasse.‹«
Kolomoisky meinte, nach zwei Jahren habe sein Gegner nun die Rechnung zu bezahlen.
Im Kampf gegen Pintschuk konnte er sich nur mit Julia Timoschenko verbünden. Denn Kolomoisky wusste, dass sein Gegner sich bereits mit Petro Poroschenko, dem wichtigsten Widerpart der Ministerpräsidentin im Establishment, zusammengetan hatte. Kutschmas Schwiegersohn kontrollierte vier landesweite Fernsehsender. Er war bereit, der Präsidentenpartei NSNU im Wahlkampf eine wohlwollende Haltung seines Medienimperiums zuzusichern. Nach Informationen der Presse war seine Bedingung, dass er Eigentümer von NFS blieb. Oder zumindest die Chance erhielt, das Unternehmen vor der Nationalisierung ohne Aufsehen und für teures Geld an die Russen zu verkaufen.
Als Julia Timoschenko von dieser Liaison erfuhr, empfand sie das wie eine Ohrfeige. Das Schlimme war nicht, dass sich hier das »neue Kapital« aus Juschtschenkos Umgebung wieder einmal mit dem »alten Kapital« der Ära Kutschma zusammenfand. Beispiele dieser Art hatte es in der letzten Zeit ohnehin unzählige gegeben. Sie beunruhigte etwas anderes: Die vier Fernsehsender, die Poroschenko damit in die Hand bekam, hatten nur einen einzigen Gegner – sie selbst. Und wenn diese Propagandamaschine sie auch nicht offen verunglimpfte, wenn ihre Reporter nicht wieder in den alten Geschichten der JeESU zu wühlen begannen wie in den Jahren
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