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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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Zuschauer. Die ganze Werbung war ein handgeschriebener Zettel an der Tür. Die Filme wurden willkürlich in Genres wie Thriller oder Comedy eingeteilt. Das taten die Veranstalter, die in der Regel nicht durch besondere Bildung glänzten. »Aerotischer Film« war noch einer der rührendsten Fehler.
    Wenn die amerikanischen Präsidenten auf den zerknautschten grünen Dollarscheinen sprechen könnten, dann hätte wohl niemand über den Weg eines postsowjetischen Oligarchen besser Auskunft geben können als sie. Ihre zweite, dritte und zehnte Million verdienten sie alle auf die gleiche Weise: Für ein paar Prozente Schmiergeld an käufliche Funktionäre beschafften sie sich die Genehmigung, das Staatseigentum in Stücke zu reißen, Naturreichtümer und im Sozialismus errichtete Betriebe unter sich aufzuteilen. Die erste Million dagegen erwarb jeder auf seine Weise. Einer verkaufte Matrjoschka-Puppen an ausländische Touristen, ein anderer betrieb das Stone-Washing nachgemachter Jeans, ein Dritter erpresste Schutzgeld, indem er einem widerspenstigen Kleinunternehmer ein glühendes Bügeleisen auf den Bauch setzte.
    Die Videothek jener Zeit war das Fenster in eine Traumwelt. Die erste Geschäftsidee der jungen Julia aus der für Ausländer gesperrten Stadt war der Handel mit Wunschträumen. Sie, die ihre Schuluniform gehasst hatte, verkaufte ihren Landsleuten jetzt blasse Bilder von einer anderen, wunderbar romantischen Welt, die mit ihrem grauen Alltag nichts zu tun hatte. Das war die Welt der Kreuzfahrtschiffe, die nachts mit blinkenden Lichtern, ohne anzuhalten, an der Stadt ihrer Kindheit vorbeigefahren waren. Es war eine Welt starker, reicher und furchtloser Männer mit verlockenden, verzweifelten oder entfesselten Frauen.
    Von wem Julia ihr erstes Geld auch immer geliehen haben mag, sie konnte es ganz gewiss schon wenige Monate nach Eröffnung ihrer ersten Videothek zurückzahlen. Und wenn es ihr Schwiegervater gewesen ist, dann wurde ihr sicher auch das erlassen. Nicht aus Familiensinn. Gennadi Timoschenkos nach außen so bescheiden wirkende Funktion war inzwischen ebenfalls zur Goldgrube geworden. In der Sowjetzeit wirkte ein Filmverleiher vor allem als Zensor. Als aber unter Gorbatschow die Zensur zunächst gelockert wurde und schließlich ganz einschlief, ohne dass jemand das bedauerte, wurde der Filmverleih zu der Behörde, die die offiziellen Lizenzen für Videotheken erteilte. Sie konnte das sofort tun oder in die Länge ziehen, indem sie auf Ungenauigkeiten oder eine fehlende Unterschrift auf der dritten Kopie des fünftrangigen Papiers hinwies … Das galt nicht einmal als Bestechlichkeit. Das Leben hatte sich einfach verändert und neue ungeschriebene Gesetze geschaffen. Die waren härter und klarer als die geschriebenen. Es war das Recht der neuen Zeit.
    Die Utopie dieser jungen Generation sowjetischer Menschen hieß Geld.
    Der Wertewechsel vollzog sich im Handumdrehen, bei manchen binnen eines Monats, andere brauchten dafür kaum einen Tag oder eine Stunde. Plötzlich zeigte sich, dass die früheren Ideale für immer abgeschafft waren, dass es sie eigentlich nie gegeben und niemand an sie geglaubt hatte. Die neuen Träume lagen auf der Straße. Man brauchte sich nur zu bücken. Man musste sich etwas einfallen lassen und es durchsetzen. Den Rausch des schnellen Geldes, das aus dem Nichts kam – von einem Marktstand oder aus einem gemieteten Keller –, erlebten damals viele. Die Aussichten waren schwindel­erregend. Geld zu verdienen wurde zur Sucht. Geld zu machen und es mit vollen Händen auszugeben, schuf ein unbekanntes Glücksgefühl. In einem Land, das bisher offiziell eine asketische Lebensweise gepredigt hatte, brachen jetzt alle Dämme, die die Leute bisher an einer menschenwürdigen Existenz gehindert hatten – ein in jeder Hinsicht anomaler Vorgang. Zusammen mit der Gleichheit in der Armut platzte auch die dazugehörige Ideologie wie eine Seifenblase.
    Keine Summe war jetzt hoch genug. Man dachte nur noch in runden Beträgen. Julia Timoschenko, die die neue Situation rasch erfasste, begriff sofort, dass Geld zu scheffeln etwas Endloses sein konnte, das den Menschen total fesselte.
    Aber Videoshows waren nur der Anfang. Die Videothek oder die Konzerte von Moskauer Rockgruppen, die ihre Kooperative in Dnipropetrowsk veranstaltete, konnten bei aller Einträglichkeit nur das Aufwärmen fürs wirklich große Geschäft sein. Jahre später sollte Julia Timoschenko einräumen, dass sie und ihr

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