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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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Renaissance der nationalen Kultur. Die Russen meinten, Russland verschwende zu viel Kraft und Mittel auf die Kostgänger in den Sowjetrepubliken. Auch die junge Privatwirtschaft, die sich die ersten Muskeln zulegte, hielt nichts mehr von der UdSSR. Die Zentralmacht im Kreml war ein Hindernis auf dem Weg, das Eigentum endlich völlig neu aufzuteilen. Schließlich hatten auch die lokalen Parteieliten die Sowjetunion satt.
    Noch vor Kurzem war der höchste Traum eines Beamten aus allen 14 nationalen Republiken der Sprung in die Reichshauptstadt, das Mekka der Sowjetunion, gewesen. Jetzt drohte aus Moskau von dem unberechenbaren Romantiker Gorbatschow und dem noch weniger kalkulierbaren Rebellen Jelzin das Chaos. Sich selbstständig zu machen, möglichst rasch Abstand vom sinkenden Stern des Kreml zu gewinnen, schien jetzt geboten. Plötzlich zeigte sich, dass es sich als Erster in Gallien ruhiger, angesehener und einträglicher lebte denn als Letzter in Rom. Die ehemaligen Ersten Sekretäre der Parteien der Unionsrepubliken wurden zu uneingeschränkten Herren unabhängiger Reiche – zu Präsidenten, Ministerpräsidenten, Landesvätern, Khans und Despoten.
    Ihre Utopie, die Macht in den Händen zu halten, hatte sich erfüllt.
    Wie viel Macht das war, hing von den historischen Traditionen und der politischen Kultur im jeweiligen Lande ab. Die Balten, die der Kreml sofort nach dem Putsch in die Freiheit entließ, gaben der westlichen Demokratie den Vorzug. Die Belarussen griffen nicht zur Gewalt und entschieden sich Jahre später für einen nicht ganz zurechnungsfähigen Diktator. Turkmenistan kehrte ins Mittelalter zurück.
    Die Veränderungen kamen nicht unvorbereitet, denn lange vor dem Putsch hatte man mögliche Hindernisse für die Trennung von Moskau aus dem Wege geräumt. Mit den Männern, die an die Spitze der Macht in den Republiken traten, gingen erstaunliche, geradezu unwahrscheinliche Veränderungen vor sich. So wurde aus dem Ukrainer Leonid Krawtschuk, der in Kiew sein halbes Leben lang kommunistische Agitation und Propaganda betrieben hatte, an der Wende zwischen den Achtziger- und den Neunzigerjahren plötzlich ein flammender ukrainischer Patriot.
    Der Possenreißer, begabte Schönredner und geborene Intrigant Krawtschuk hatte bereits zur Zeit der Perestroika im Namen der Kommunistischen Partei einen freundlichen Dialog mit der liberal-patriotischen Bewegung »Ruch« geführt. Diese war aus den Protesten von Umweltschützern gegen die Katastrophe von Tschernobyl entstanden und hatte sich nach und nach zu einer Volksfront gemausert, ähnlich der, die die baltischen Republiken zu Demokratie und Unabhängigkeit führten. Zur Zeit von Gorbatschows Liberalismus konnte man Ruch nicht mehr verbieten oder auseinanderjagen. Nun war man ratlos, was man mit diesen Leuten anfangen sollte.
    Auf ihrem ersten Kongress steckten die Patrioten von Ruch Krawtschuk ein Abzeichen mit der damals noch verbotenen blau-gelben ukrainischen Nationalflagge ans Jackett. Das ketzerische Symbol konnte der damalige Sekretär für Ideologie des ZK der KP der Ukraine nicht tragen. Aber im Angesicht des Kongresses konnte er es auch nicht einfach abnehmen. Der gerissene Krawtschuk zog das Jackett einfach aus und hängte es lässig über einen Stuhl.
    1990 schickte die Partei ihn an die Spitze des Obersten Sowjets der ukrainischen Sowjetrepublik, damit er die disziplinlosen Deputierten der lärmenden demokratischen Opposition, also Ruch, an die Kandare legte. Unter seinem Vorsitz nahm das Parlament im Juli 1990 die Deklaration über die staatliche Souveränität der Ukraine an, in der das »Recht der ukrainischen Nation auf Selbstbestimmung und Gründung eines Nationalstaates in den bestehenden Grenzen« proklamiert wurde. Im Obersten Sowjet bildete sich eine auf den ersten Blick völlig widernatürliche Koalition aus der Mehrheit von Nomenklatura-Kadern und idealistischen Intellektuellen. Die einen suchten nach einem Ausweichlandeplatz für den Fall, dass die Sowjetunion zusammenbrach, die anderen verlockte die Aussicht auf die Freiheit. Der jahrhundertealte Traum von einer selbstständigen Ukraine war plötzlich so real und greifbar nah wie nie zuvor.
    Als Gorbatschow, dem die Macht immer mehr aus den Händen glitt, nach dem Putsch in Nowo-Ogarjowo bei Moskau die Republikführer mehrmals zusammenrief und stundenlang auf sie einredete, die Union nicht zu zerstören, erwies sich der listenreiche Krawtschuk als der standhafteste Kämpfer für

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