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Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie

Titel: Julia Timoschenko - die autorisierte Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilia Milstein , Dmitri Popov
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handeln wollte, hatte hier gute Chancen.
    Als Julia Timoschenko ihre erste Kooperative gründete, hatte sie, wie die große Mehrheit der sowjetischen Menschen, überhaupt keine Erfahrung als Geschäftsfrau. Sie besaß auch kein Geld. Familie Timoschenko ging es nach sowjetischen Standards zwar gut, aber im Prinzip unterschied sie sich wenig von ihren ärmeren Landsleuten. Doch Julia hatte eine Idee und eine klare Vorstellung davon, wie sie diese mithilfe ihres Schwiegervaters umsetzen konnte. Die Idee versprach viel Geld, wäre aber noch ein Jahr zuvor völlig undenkbar gewesen.
    Gennadi Timoschenko leitete damals den Filmverleih des Gebiets Dnipropetrowsk. Daher war Julia Timoschenkos erstes Geschäft eine Videothek. In der Sowjetunion lief damals vieles über Beziehungen. Wenn die auch noch verwandtschaftlicher Art waren, funktionierte es am besten. Unter sowjetischen Bedingungen hatte der Schwiegervater Julia bei Wohnung und beruflicher Laufbahn helfen können. Im neuen Leben, im Chaos der Perestroika, entstanden plötzlich ganz andere Möglichkeiten.
    Das Geheimnis der ersten Million verblasst vor dem Geheimnis der ersten 5000 Rubel. Die große Frage ist, woher Julia Timoschenko diese Summe hatte, um ihre erste Videothek zu eröffnen. Sie war für sowjetische Verhältnisse nicht gering. Dafür hätte sie als junge Ingenieurin zwei Jahre lang arbeiten müssen. Nach dem offiziellen Umrechnungskurs handelte es sich um fast 8000 Dollar. Viele Jahre später sollte Julia, die sich offenbar schlecht erinnerte, erklären, sie habe das Geld von Bekannten Gennadi Timoschenkos geliehen, und das ohne Wissen ihres Schwiegervaters, weil es ihr peinlich gewesen sei. Missgünstige Stimmen behaupten, das sei alles nicht wahr. Der einflussreiche Gennadi Timoschenko habe ihr selbst das Geld gegeben und auch die Lizenz für die Eröffnung der Videothek beschafft. Wie dem auch sei, daran war nichts Verbotenes, denn ähnliche Etablissements schossen damals in der Sowjetunion wie Pilze aus dem Boden.
    Videotheken waren ein Markenzeichen der Perestroika wie die ersten ausländischen Wagen auf den Straßen des Landes, die ersten Pachttoiletten, die ersten spontan entstehenden Märkte, auf denen man alles kaufen konnte – vom getragenen Büstenhalter über Uhren und eine Playboy -Ausgabe aus dem vergangenen Jahr bis hin zu amerikanischen Zigaretten, die es seit der Moskauer Olympiade von 1980 nicht mehr gab. Die ersten privaten Schaschlikbuden verströmten an den Straßenrändern ihren verführerischen Duft. Die Kinder probierten zum ersten Mal Zuckerwatte, hergestellt von Kooperativen, oder amerikanisches Softeis. In den Kellern von Wohnhäusern öffneten die ersten Fitnesscenter, wo sich schweigsame junge Männer mit finsteren Mienen zu Muskelbergen aufpumpten, und dort entstanden Kampfsportgruppen, die bislang verboten waren. Die berühmte Rockszene von Leningrad verbreitete in der ganzen Sowjetunion Musikkassetten mit Texten, die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wären. Sie handelten von einer jungen Generation der »Hofkehrer und Nachtwächter«, die mit überschnappender Stimme brüllte, sie warte auf Veränderungen. Von einer Gesellschaft, die in Ketten liege und über ihre garantierte Armut auch noch glücklich sei.
    Zur gleichen Zeit verschwanden aus den staatlichen Läden nach und nach die letzten Bestände an Seife und Streichhölzern. Die Älteren, die den Krieg noch erlebt hatten, fingen an, Kernseife und Salz, Graupen und Sonnenblumenöl zu horten. Über dem ganzen Land lag ein brisantes Gemisch von Hoffnung, Begeisterung und panischer Angst vor der Zukunft.
    Eine Videothek des Jahres 1989 muss man sich als engen Raum mit einem einzigen Fernsehgerät vorstellen, das auf einer Konsole hoch über den Köpfen der Zuschauer schwebte wie ein Starkasten. Oder mit einem Projektor vor einer schmutzig weißen zerknitterten Leinwand. Die Dutzende Male von Kassette zu Kassette überspielten Filme hatten eine katastrophale Qualität. Die Bilder waren verschwommen, die Farben changierten zwischen Rosa und Blau oder Gelb und Grün. Die Dialoge wurden mit grässlichem Klang auf Russisch eingesprochen. Da die Übersetzer dieses Geschäft betrieben, als man dafür noch hinter Gitter wandern konnte, sprachen sie durch einen Mundschutz, damit der KGB ihre Stimmen nicht identifizieren konnte. Bei der schlechten Aufnahmetechnik überdröhnten sie fast völlig den Originalton. In einem solchen Raum ohne Lüftung drängten sich 15 bis 20

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