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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Giulietta so lange reglos und ohne jede Reaktion liegen, dass Giannozza sie nach einer Weile tatsächlich für tot hielt.
    »Giu-giu?«, fragte sie und zerrte an den Armen ihrer Schwester. »Bitte hör auf! Das ist nicht mehr lustig! Bitte!«
    Am Ende begann sie zu weinen. Selbst als Giulietta sich daraufhin lachend aufsetzte, ließ Giannozza sich nicht mehr trösten, sondern weinte den ganzen Nachmittag und Abend weiter. Beim Essen rannte sie davon, ohne einen Bissen zu sich genommen zu haben. Danach spielten sie das Spiel nie wieder.
    Während Giuliettas Gefangenschaft im Palazzo Salimbeni hatte es Tage gegeben, an denen sie mit dem Fläschchen in der Hand dasaß und wünschte, es wäre bereits voll, so dass es in ihrer Macht stünde, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Doch erst am Vorabend ihrer morgendlichen Abreise ins Orcia-Tal war das Fläschchen endlich übergelaufen, und während der ganzen Reise hatte sie sich mit Gedanken an den Schatz getröstet, den sie, in einen Hausschuh gebettet, in ihrem Gepäck mitführte.
    Während sie sich nun mit dem Fläschchen auf ihrem Bett niederließ, war sie zuversichtlich, dass das, was sie in Händen hielt, ausreichte, um ihr Herz stillstehen zu lassen. Wahrscheinlich, so ging ihr durch den Kopf, hatte die Jungfrau Maria das von Anfang an so geplant: Ihre Heirat mit Romeo sollte erst im Himmel vollzogen werden, und nicht auf Erden. Giulietta fand diese Vorstellung so schön, dass sie lächeln musste.
    Sie nahm das Schreibzeug heraus, welches sie ebenfalls in ihrem Gepäck versteckt hatte, und ließ sich kurz nieder, um einen letzten Brief an Giannozza zu schreiben. Das Tintenfässchen, das sie von Bruder Lorenzo bekommen hatte, als sie sich noch im Palazzo Tolomei aufhielt, hatte sie mittlerweile fast aufgebraucht und die Feder so oft geschärft, dass nur noch ein kleines Stummelchen übrig war. Nichtsdestotrotz nahm sie sich die Zeit, eine letzte Nachricht an ihre Schwester zu verfassen, ehe sie das Pergament zusammenrollte und in einer Ritze in der Wand hinter dem Bett versteckte. »Meine Liebste, ich erwarte dich«, schrieb sie, während ihre Tränen die Tinte verschmierten, »auf unserem Gänseblümchenfleck. Und wenn du mich küsst, werde ich sofort erwachen, das verspreche ich dir.«
     
    Romeo und Bruder Lorenzo erreichten Rocca di Tentennano in Begleitung von zehn Reitern, die in sämtlichen Kampfarten ausgebildet waren. Ohne Maestro Ambrogio hätten sie Giulietta nie gefunden, und ohne Giuliettas Schwester Giannozza, die ihnen die Krieger lieh, wären sie niemals in der Lage gewesen, auf Worte Taten folgen zu lassen.
    Den Kontakt mit Giannozza hatte Bruder Lorenzo hergestellt. Während sie sich in dem Kloster versteckten - und Romeo wegen seiner Bauchwunde noch außer Gefecht gesetzt war -, hatte der Mönch einen Brief an die einzige Person geschickt, von der er glaubte, dass sie ihnen in ihrer Notlage beistehen würde. Nachdem er über ein Jahr als geheimer Kurier für die beiden Schwestern fungiert hatte, kannte er Giannozzas Adresse nur allzu gut, und es vergingen keine zwei Wochen, bis er eine Antwort erhielt.
    »Euer höchst schmerzlicher Brief erreichte mich an einem guten Tag«, schrieb sie ihm, »denn ich habe gerade den Mann begraben, der diesem Hause vorstand, und bin nun endlich Herrin meines eigenen Schicksals. Trotzdem fehlen mir die Worte, lieber Lorenzo, um zum Ausdruck zu bringen, welchen Kummer ich empfand, als ich von Eurem Unglück und dem traurigen Los meiner Schwester erfuhr. Bitte lasst mich wissen, wie ich Euch helfen kann. Ich verfüge über Männer und auch Pferde. Sie stehen allzeit zu Eurer Verfügung.«
    Doch selbst Giannozzas fähige Krieger wussten angesichts des massiven Tors von Rocca di Tentennano keinen Rat. Als sie die Festung aus sicherer Entfernung und im Schutz der hereinbrechenden Dunkelheit in Augenschein nahmen, begriff Romeo, dass er zu einem Trick würde greifen müssen, um hineinzugelangen und seine Herzensdame zu retten.
    »Das Ganze erinnert mich an ein riesiges Wespennest«, sagte er zu den anderen, die beim Anblick des mächtigen Bauwerks verstummt waren. »Ein Angriff bei Tageslicht würde für uns alle den Tod bedeuten, aber vielleicht haben wir des Nachts eine Chance, wenn bis auf ein paar Wachen alle schlafen.«
    Deswegen wartete er, bis es ganz dunkel war, ehe er acht Männer auswählte - darunter auch Bruder Lorenzo, der auf keinen Fall zurückbleiben wollte - und sicherstellte, dass sie mit Seilen und

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