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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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jede Heuchelei auf und bedachte sie mit einem müden Blick. »Begreift Ihr denn nicht, wie großmütig ich mich Euch gegenüber zeige? Glaubt mir, das müsste ich nicht. Aber ich mag Euch. Ihr seid es wert.« Mit diesen Worten ließ er ihr Handgelenk los. »Nun geht und tut, was auch immer ihr Frauen tun müsst. Ich komme dann zu Euch.« Er besaß die Dreistigkeit, sie dabei auch noch anzulächeln. »Schon um Mitternacht werdet Ihr mich nicht mehr ganz so abstoßend finden, das verspreche ich Euch.«
    Giulietta blickte ihm in die Augen, sah dort jedoch nur Entschlossenheit. »Gibt es denn gar nichts, was ich sagen oder tun könnte, um Euch davon abzubringen?«
    Er schüttelte nur lächelnd den Kopf.
     
    Als Giulietta zurück in ihre Kammer ging, stand an jeder Ecke eine Wache. Trotz all dieses Schutzes aber gab es an ihrer Tür kein Schloss, mit dem sie Nino hätte aussperren können.
    Sie öffnete die Fensterläden, um die frostige Nachtluft hereinströmen zu lassen, und blickte zu den Sternen empor. Überrascht stellte sie fest, wie viele es waren und wie hell sie leuchteten. Es schien ihr, als hätte der Himmel dieses funkelnde Schauspiel ganz allein für sie inszeniert, um ihr eine letzte Möglichkeit zu geben, ihre Seele mit Schönheit zu erfüllen, ehe das alles ein Ende fand.
    Nichts von dem, was sie sich vorgenommen hatte, war ihr gelungen. Ihre Pläne, Romeo zu bestatten und Salimbeni zu töten, waren beide gescheitert, und nun musste sie feststellen, dass sie sich nur am Leben erhalten hatte, um missbraucht zu werden. Ihr einziger Trost war, dass diese bösen Menschen es trotz aller Bemühungen nicht geschafft hatten, ihr Verlöbnis mit Romeo zu entweihen. Sie hatte nie einem anderen gehört. Er war ihr Ehemann, und gleichzeitig war er es nicht. Obwohl ihre Seelen miteinander verbunden waren, hatte der Tod ihre Körper getrennt. Aber nicht mehr für lange. Nun brauchte sie ihm nur noch bis zum Schluss treu zu bleiben. Wenn Bruder Lorenzo recht hatte, wurde sie vielleicht in einem Leben nach dem Tod mit Romeo wiedervereint.
    Giulietta ließ die Fensterläden offen und ging zu ihrem Gepäck hinüber. So viele Kleider, so viel Putz ... aber das Einzige, was sie brauchte, lag in einen Brokathausschuh gebettet: ein Parfümfläschchen, das im Palazzo Salimbeni auf ihrem Nachttisch gestanden hatte, von ihr aber schon bald einer anderen Verwendung zugeführt worden war.
    Seit ihrer Vermählung war jeden Abend eine alte Amme zu ihr gekommen, um ihr auf einem Löffel einen Schlaftrank zu verabreichen. Der Blick der alten Frau war immer voller Mitleid gewesen. »Mund auf«, hatte sie kurz angebunden gesagt, »und seid ein braves Mädchen. Ihr wünscht Euch doch schöne Träume, nicht wahr?«
    Die ersten Male hatte Giulietta den Trank in ihren Nachttopf gespuckt, sobald die Amme den Raum verlassen hatte - fest entschlossen, hellwach zu bleiben, damit sie Salimbeni, sollte er wieder an ihr Bett kommen, an den Fluch erinnern konnte.
    Nach jenen ersten paar Nächten aber war sie auf die Idee gekommen, das Fläschchen Rosenwasser zu leeren, das Monna Antonia ihr zum Abschied geschenkt hatte, und es - statt mit Parfüm - langsam mit dem Schlaf trank zu füllen, von dem sie jeden Abend einen Mundvoll serviert bekam.
    Anfangs betrachtete sie das Gebräu als eine Waffe, die sie auf irgendeine Weise gegen Salimbeni einsetzen könnte. Nachdem seine Besuche in ihrer Kammer jedoch von selbst immer seltener wurden, stand das Fläschchen weiter auf ihrem Nachttisch, ohne für einen bestimmten Zweck vorgesehen zu sein - außer vielleicht dem, Giulietta daran zu erinnern, dass es, wenn es erst einmal voll war, bestimmt für jeden tödlich sein würde, der es zur Gänze austrank.
    Sie konnte sich daran erinnern, von frühester Jugend an wilde Geschichten von Frauen gehört zu haben, die sich mit einem Schlaftrank umbrachten, nachdem sie von ihrem Geliebten verlassen worden waren. Obwohl ihre Mutter stets versuchte, ihre Töchter vor derlei Geschwätz abzuschirmen, gab es im Haus zu viele Bedienstete, die es genossen, wenn ihnen die kleinen Mädchen mit weit aufgerissenen Augen lauschten. Was dazu führte, dass Giulietta und Giannozza während ihrer Kindheit viele Nachmittage an ihrem geheimen Lieblingsplatz - einem Fleckchen voller Gänseblümchen - verbrachten und sich dort abwechselnd eine von beiden tot stellte, während die andere das Entsetzen der Leute nachahmte, die den Leichnam und die leere Flasche entdeckten. Einmal blieb

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