Julia
brachte sie nach oben ans Licht. Danach sprach Monna Mina nie wieder mit der Stimme von Lorenzo, vergaß aber dennoch nicht, was ihr passiert war, und beschloss herauszufinden, wer Lorenzo gewesen war und warum er durch sie gesprochen hatte, auch wenn ihr Vater und ihr Schwiegervater alles in ihrer Macht Stehende taten, um die Wahrheit vor ihr zu verheimlichen.
Monna Mina war eine willensstarke Frau, eine echte Tolomei. Sooft ihr Mann seinen Geschäften nachging, verbrachte sie viele Stunden mit der alten Monna Cecilia, lauschte den Geschichten aus der Vergangenheit und stellte allerlei Fragen. Obwohl die alte Frau zunächst Angst hatte, wusste sie doch, dass es ihr Frieden bringen würde, die schwere Last an jemand anderen weiterzureichen, statt die Wahrheit mit ins Grab zu nehmen.
Monna Cecilia erklärte Monna Mina, dass genau dort, wo sie jenen schrecklichen Fluch an die Wand geschrieben hatte, viele, viele Jahre zuvor ein junger Mönch namens Bruder Lorenzo die gleichen Worte mit seinem eigenen Blut geschrieben hatte. Er war in dem Raum festgehalten und gefoltert worden, bis er starb.
»Aber von wem?«, fragte Monna Mina, während sie sich über den Tisch beugte und aufgeregt Monna Cecilias verkrümmte Hände umklammerte. »Wer hat ihm das angetan, und warum?«
»Ein Mann«, antwortete Monna Cecilia und ließ dabei bekümmert den Kopf sinken, »den ich in meiner Erinnerung längst nicht mehr meinen Vater nenne.«
Dieser Mann, so erklärte ihr Monna Cecilia, hatte dem Hause Salimbeni in der Zeit der großen Pest vorgestanden und es wie ein Tyrann regiert. Manche Leute versuchten sein Verhalten damit zu entschuldigen, dass Tolomei-Schurken seine Mutter vor seinen Augen umgebracht hätten, als er noch ein kleiner Junge war, doch das rechtfertigte nicht, dass er als erwachsener Mann anderen das Gleiche antat. Genau das aber tat Salimbeni. Er war grausam zu seinen Feinden und streng gegenüber seiner Familie. Jedes Mal, wenn er eine Ehefrau satt hatte, sperrte er sie auf dem Land ein und wies die Bediensteten an, ihr nicht genug zu essen zu geben. Sobald sie tot war, heiratete er die Nächste. Je älter er wurde, umso jünger wurden seine Frauen, bis ihn am Ende nicht einmal mehr Jugend befriedigte, und er in seiner Verzweiflung ein unnatürliches Begehren nach einer jungen Frau entwickelte, deren Eltern er selbst hatte ermorden lassen. Ihr Name war Giulietta.
Trotz der Tatsache, dass Giulietta sich bereits heimlich einem anderen verlobt hatte und die Leute der Meinung waren, dass die Jungfrau Maria selbst dem jungen Paar ihren Segen erteilt hatte, erzwang Salimbeni seine eigene Heirat mit dem Mädchen und forderte auf diese Weise den schrecklichsten Feind heraus, den ein Mann haben konnte. Denn jeder wusste, dass die Jungfrau Maria menschliche Einmischung in ihre Pläne gar nicht schätzte, und tatsächlich endete das Ganze in Elend und Tod. Es brachten sich nicht nur die jungen Liebenden um, sondern auch Salimbenis ältester Sohn starb in dem verzweifelten Bemühen, die Ehre seines Vaters zu verteidigen.
Wegen all dieser Kränkungen und Kümmernisse ließ Salimbeni Bruder Lorenzo verhaften und foltern, denn er legte ihm zur Last, das junge Paar heimlich in seiner verhängnisvollen Liebe bestärkt und unterstützt zu haben. Salimbeni lud Giuliettas Onkel Messer Tolomei ein, der Bestrafung des Mönches beizuwohnen, welcher ihre Pläne, die beiden verfeindeten Familien durch eine Ehe zu vereinen, so dreist vereitelt hatte. Das waren die Männer, die Bruder Lorenzo mit seinen Worten an der Wand verfluchte: Messer Salimbeni und Messer Tolomei.
Nachdem der Mönch gestorben war, ließ Salimbeni die Leiche unter dem Boden der Folterkammer verscharren, wie er es auch mit früheren Opfern getan hatte. Anschließend wies er seine Bediensteten an, den Fluch abzuwaschen und die Wand frisch zu kalken. Schon bald aber stellte er fest, dass diese Maßnahmen nicht ausreichten, um das Geschehene vergessen zu machen.
Als ihm ein paar Nächte danach Bruder Lorenzo im Traum erschien und ihn warnte, dass weder Seife noch Kalk den Fluch je auslöschen konnten, bekam Salimbeni es mit der Angst zu tun und versiegelte die alte Folterkammer, um die bösen Mächte, die von der Wand ausgingen, dort einzuschließen. Nun begann er plötzlich auf die Stimmen der Leute zu hören, die behaupteten, er sei verflucht und die Jungfrau Maria suche nach einer Möglichkeit, ihn zu bestrafen. Die Stimmen waren überall: auf der Straße, auf dem
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