Julia
ganz Siena mit ihren Schmerzen und Leiden zu ihr und wurden durch ihre Berührung geheilt. Nun, als erwachsene Frau, verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit im Krankenhaus neben der Kathedrale von Siena, Santa Maria della Scala, wo sie eine eigene kleine Kammer mit einem Bett hatte und sich um die Kranken kümmerte.
Eines Tages nun wird Santa Caterina in den Palazzo Salimbeni gerufen und stellt bei ihrem Eintreffen fest, dass das ganze Haus von Furcht erfüllt ist. Die Leute erzählen ihr, dass dort vier Tage zuvor eine große Hochzeit stattgefunden habe: Bei der Braut habe es sich um eine Frau aus der Familie Tolomei gehandelt, die hübsche Mina, und beim Bräutigam um einen Sohn Salimbenis. Deswegen sei es ein prächtiges Fest gewesen, und die beiden Familien seien zusammengekommen, um gemeinsam zu essen, zu singen und einen langen Frieden zu feiern.
Als jedoch der Bräutigam um Mitternacht in sein Brautgemach geht, ist seine Braut nicht da. Er fragt die Bediensteten, aber niemand hat sie gesehen, so dass er es mit der Angst zu tun bekommt. Was ist seiner Mina widerfahren? Ist sie davongelaufen? Oder wurde sie von Feinden entführt? Wer aber sollte es wagen, den Tolomeis und den Salimbenis so etwas anzutun? Das ist völlig undenkbar. Deshalb rennt der Bräutigam auf der Suche nach seiner Braut treppauf und treppab, befragt alle Dienstboten, befragt alle Wachen, doch ohne Erfolg. Mina kann das Haus nicht unbemerkt verlassen haben. Auch sein Herz sagt nein! Er ist ein freundlicher junger Mann, noch dazu recht gutaussehend. Sie würde niemals vor ihm weglaufen. Trotzdem muss dieser junge Salimbeni jetzt seinem Vater und ihrem Vater Bescheid geben, und als diese hören, was los ist, fängt das ganze Haus an, nach Mina zu suchen.
Sie suchen stundenlang - in den Schlafzimmern, in der Küche, sogar im Speicher -, bis die Lerche ihr Lied anstimmt und sie schließlich aufgeben. Nun aber, da ein neuer Tag begonnen hat, kommt die älteste Großmutter der Hochzeitsgesellschaft, Monna Cecilia, nach unten und findet alle in Tränen aufgelöst vor. Die Männer sprechen von Krieg gegen diese, Krieg gegen jene. Nachdem Monna Cecilia ihnen eine Weile zugehört hat, sagt sie zu ihnen: »Traurige Herren, kommt mit mir, ich werde Eure Mina finden. Denn es gibt einen Ort im Haus, an dem Ihr nicht gesucht habt, und ich spüre in meinem Herzen, dass sie dort ist.«
Monna Cecilia führt sie tief hinab unter die Erde, in die alten Verliese des Palazzo Salimbeni. Sie zeigt ihnen die Türen, die mit den Hausschlüsseln geöffnet worden sind, welche der Braut bei der Hochzeitszeremonie ausgehändigt wurden, und erklärt ihnen, dass aus Angst vor der Dunkelheit schon seit vielen Jahren niemand mehr diese Gewölbe betreten hat. Die alten Männer der Hochzeitsgesellschaft sind entsetzt, sie können nicht fassen, dass die neue Braut Schlüssel zu all diesen geheimen Türen erhalten hat, und werden immer zorniger, je weiter sie gehen, und auch immer angsterfüllter, denn sie wissen, dass dort unten tiefe Dunkelheit herrscht und in der Vergangenheit, vor der Pest, viele Dinge passiert sind, die besser vergessen blieben. Nun aber marschieren all die großen Männer mit ihren Fackeln hinter der alten Monna Cecilia her und trauen ihren Augen nicht.
Schließlich erreichen sie einen Raum, der in früheren Zeiten zur Bestrafung verwendet wurde. Dort bleibt Monna Cecilia stehen, und auch all die Männer bleiben stehen, denn sie hören jemanden weinen. Erschrocken stürmt der junge Bräutigam mit seiner Fackel vor. Als das Licht die hinterste Ecke der Zelle erreicht, sieht er dort seine Braut in ihrem schönen blauen Nachthemd auf dem Boden sitzen. Sie zittert vor Kälte und hat solche Angst, dass sie beim Anblick der Männer zu schreien beginnt und niemanden erkennt, nicht einmal ihren eigenen Vater.
Natürlich heben die Männer sie hoch und tragen sie die Treppe hinauf ans Licht, wo sie ihr etwas zu trinken und alle möglichen Spezereien zu essen geben, doch Mina zittert immer noch wie Espenlaub und stößt sie alle von sich fort. Ihr Vater versucht mit ihr zu sprechen, aber sie dreht den Kopf weg und weigert sich, ihn anzusehen. Schließlich nimmt der arme Mann seine Tochter an den Schultern und fragt sie: »Weißt du denn nicht mehr, dass du meine kleine Mina bist?« Doch Mina stößt ihn höhnisch lachend von sich und entgegnet mit einer Stimme, die nicht die ihre ist, sondern dunkel wie der Tod: »Nein, ich bin nicht deine Mina. Mein Name ist
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