Julia
gebührende Beachtung zu zollen.
In der großen Eingangshalle standen mindestens hundert Leute herum, und sie alle beobachteten nun staunend, wie die Gastgeberin in ihrer ganzen Pracht die Treppe herabschritt, um mich in ihren Kreis einzuführen - und dabei die anmutige Gestik einer Blumenfee an den Tag legte, welche gerade im Begriff war, vor königlichen Gästen, die aus dem Waldeshain kamen, Rosenblätter zu streuen. Zweifellos hatte Eva Maria dieses Drama lange im Voraus geplant, denn die ganze Halle war ausschließlich mit großen Kerzen auf Lüstern und Kandelabern beleuchtet, so dass das flackernde Licht der Kerzenflammen über ihr Kleid tanzte, als stünde es ebenfalls in Flammen. Eine Weile hörte ich kein anderes Geräusch als die Musik: nicht, wie man hätte erwarten können, die übliche Klassik, sondern Livemusik, gespielt auf mittelalterlichen Instrumenten. Am hinteren Ende der Halle entdeckte ich eine kleine Gruppe von Musikern.
Als ich den Blick über die schweigende Menge schweifen ließ, war ich plötzlich sehr froh darüber, dass ich das rote Samtkleid trug und nicht mein eigenes. Eva Marias Gäste als prüde Schar zu bezeichnen, wäre eine phänomenale Untertreibung gewesen. Zutreffender war eher, dass sie alle aussahen, als stammten sie aus einer anderen Welt. Auf den ersten Blick konnte ich im ganzen Raum niemanden unter siebzig entdecken. Auf den zweiten Blick lag das Durchschnittsalter wohl eher bei über achtzig. Ein netter Mensch hätte vielleicht gesagt, dass es sich um lauter liebe alte Leutchen handelte, die nur alle zwanzig Jahre mal auf eine Party gingen und seit dem Zweiten Weltkrieg kein Modemagazin mehr aufgeschlagen hatten ... aber ich lebte schon zu lange mit Janice, um noch zu derartiger Großzügigkeit fähig zu sein. Hätte meine Schwester jetzt neben mir gestanden und gesehen, was ich sah, hätte sie bestimmt eine furchteinflößende Grimasse geschnitten und sich vielsagend über die Schneidezähne geleckt. Einen Lichtblick gab es: diese Leute - sollten sie tatsächlich alle Vampire sein - machten einen derart zerbrechlichen Eindruck, dass ich es wahrscheinlich schaffen würde, ihnen davonzusprinten.
Am Fuß der Treppe fiel gleich ein ganzer Schwärm von ihnen über mich her. Alle sprachen in schnellem Italienisch auf mich ein und berührten mich mit ihren blutleeren Fingern, als wollten sie überprüfen, ob ich wirklich echt war. Die verwunderten Blicke, mit denen sie mich betrachteten, ließen vermuten, dass - zumindest in ihren Augen - nicht sie selbst anlässlich dieses Festes von den Toten auferstanden waren, sondern ich.
Angesichts meiner Verwirrung und meines Unbehagens begann Eva Maria bald sie wegzuscheuchen, bis schließlich nur noch die beiden Frauen bei uns standen, die mir tatsächlich etwas zu sagen hatten.
»Das sind Monna Teresa«, erklärte Eva Maria, »und Monna Chiara. Monna Teresa ist - genau wie Sie - eine Nachfahrin von Giannozza Tolomei, und Monna Chiara stammt von Monna Mina aus dem Hause Salimbeni ab. Die beiden sind ganz aufgeregt, weil Sie hier sind, vor allem, nachdem sie viele Jahre lang geglaubt haben, Sie wären tot. Sie wissen beide, was in der Vergangenheit passiert ist, und können Ihnen viel über die Frau erzählen, deren Namen Sie geerbt haben, Giulietta Tolomei.«
Ich betrachtete die beiden alten Damen. Es wunderte mich überhaupt nicht, dass sie alles über meine Vorfahren und die Ereignisse des Jahres 1340 wussten, denn so, wie sie aussahen, waren sie mit einer Pferdekutsche direkt aus dem Mittelalter zu Eva Marias Fest gefahren. Beide schienen nur noch von Korsetts und den Spitzenkrausen um ihren Hals aufrecht gehalten zu werden. Allerdings lächelte mich die eine hinter ihrem schwarzen Fächer immer wieder zaghaft an, während die andere mich etwas reservierter musterte. Ihr Haar war auf eine Weise frisiert, wie ich es bisher nur auf alten Gemälden gesehen hatte, und mit einer hervorstehenden Pfauenfeder geschmückt. Neben diesen beiden antiquierten Gestalten wirkte Eva Maria richtig jugendlich, und ich war heilfroh, dass sie nicht von meiner Seite wich, sondern aufgeregt bei Fuß stand, um bereitwillig alles zu übersetzen, was die beiden mir zu sagen hatten.
»Monna Teresa«, begann sie und deutete auf die Frau mit dem Fächer, »würde gerne wissen, ob Sie eine Zwillingsschwester namens Giannozza haben. Seit Hunderten von Jahren ist es nämlich eine Familientradition, Zwillingsmädchen Giulietta und Giannozza zu
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