Julia
ich.« Er beugte sich in der Dunkelheit ein Stück näher zu mir herüber. Anscheinend bereitete es ihm eine alberne Freude, mir Angst einzujagen, denn plötzlich zischte er: »Hol der Henker eure beiden Häuser!«
»Das habe ich jetzt wirklich gebraucht«, sagte ich, »vielen Dank!«
Laut lachend klatschte er sich auf den Oberschenkel. »Nun seien Sie nicht so ein kleiner pollo ! Ich mache doch nur Spaß!«
Nachdem wir wieder nach unten gegangen waren und schon ein paar Gläser Wein intus hatten, schaffte ich es schließlich, das Gespräch wieder auf Julias Augen bringen. »Wie war das eigentlich gemeint, als Sie vorhin sagten, dass nur Romeo weiß, wo das Grab ist?«
»Tatsächlich? Weiß er das?« Maestro Lippi wirkte leicht verblüfft. »Ich bin mir da nicht so sicher. Trotzdem finde ich, Sie sollten ihn fragen. Er weiß über das alles einfach mehr als ich. Außerdem ist er noch jung. Ich vergesse inzwischen so vieles.«
Ich lächelte krampfhaft. »Sie sprechen von ihm, als wäre er noch am Leben.«
Der Maestro zuckte mit den Achseln. »Er kommt und geht. Immer spät nachts ... kommt er und setzt sich eine Weile hin, um sie anzusehen.« Er nickte zu dem Lagerraum hinüber, in dem das Bild von Giulietta hing. »Ich glaube, er ist immer noch verliebt in sie. Deswegen lasse ich stets die Tür offen.«
»Jetzt mal im Ernst.« Ich griff nach seiner Hand. »Romeo existiert nicht. Nicht mehr. Habe ich recht?«
Nun wirkte der Maestro fast ein wenig beleidigt. »Aber Sie existieren doch auch! Warum sollte er dann nicht existieren?« Er runzelte die Stirn. »Was? Sie glauben, er ist auch ein Geist? Hmm. Möglich wäre es, das weiß man nie so genau, aber ich glaube es trotzdem nicht. Meiner Meinung nach ist er real.« Er schwieg einen Moment, um die Argumente abzuwägen, die dafür und dagegen sprachen. Dann sagte er in entschiedenem Ton: »Er trinkt Wein. Geister trinken keinen Wein. Dafür braucht es Übung, und das ist ihnen zu anstrengend. Geister sind eine sehr langweilige Gesellschaft. Ich bevorzuge Menschen wie Sie. Sie sind lustig. Hier ...« - er schenkte mir ein weiteres Mal nach -, »trinken Sie noch ein bisschen.«
»Also«, sagte ich und trank gehorsam einen Schluck Wein, »wenn ich nun diesem Romeo ein paar Fragen stellen möchte ... wie mache ich das? Wo kann ich ihn finden?«
»Tja«, antwortete der Maestro, der über diese Frage einen Moment nachzudenken schien. »Ich fürchte, Sie werden warten müssen, bis er Sie findet.« Als er merkte, wie enttäuscht ich war, lehnte er sich über den Tisch zu mir herüber und blickte mir forschend in die Augen. »Wobei ich fast glaube«, fügte er hinzu, »dass er Sie schon gefunden hat. Ja, ich glaube, das hat er. Ich sehe es in Ihren Augen.«
III.IV
Der Liebe leichte Schwingen trugen mich,
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren
Siena, im Jahre 1340
Mit langen, vorsichtigen Bewegungen ließ Romeo den Wetzstein über die Klinge gleiten. Es war schon eine Weile her, dass er das letzte Mal Gelegenheit gehabt hatte, sein Schwert einzusetzen, daher wies die Klinge Rostflecken auf, die abgeschliffen und geölt werden mussten. Normalerweise verwendete er für solche Zwecke lieber seinen Dolch, doch der steckte im Rücken eines Straßenräubers. Obwohl er sonst nie so unachtsam war, hatte er vergessen, ihn nach Gebrauch wieder herauszuziehen. Außerdem konnte er Salimbeni kaum wie einem gemeinen Strauchdieb den Dolch in den Rücken rammen. Nein, er musste ihn zum Duell fordern.
Es war für Romeo eine ganz neue Erfahrung, dass er plötzlich darüber nachdachte, wie weit er für eine Frau gehen wollte. Andererseits hatte ihn auch noch nie zuvor eine Frau darum gebeten, für sie jemanden zu ermorden. Er musste an das Gespräch denken, das er an jenem schicksalhaften Abend vor zwei Wochen mit Maestro Ambrogio geführt hatte. Damals hatte er zu dem Maler gesagt, dass er, Romeo, eine feine Nase für Frauen besitze, die nicht mehr von ihm verlangten, als er zu geben bereit sei, und dass er - im Gegensatz zu seinen Freunden - nicht zu den Männern gehöre, die bei der ersten Bitte einer Frau winselnd wie Hunde davonschlichen. Stimmte das noch? War er wirklich bereit, mit dem Schwert in der Hand auf Salimbeni zuzugehen und womöglich den Tod zu finden, noch ehe er sich seinen Lohn abgeholt oder zumindest ein weiteres Mal in Giuliettas himmlische Augen geblickt hatte?
Mit einem tiefen Seufzer drehte er die Klinge um und setzte sein Werk auf der
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