Julia
ziehen, da bin ich mir sicher. Und das ...« - sie wandte den Blick ab, immer noch wütend auf ihn - »wäre vermutlich schade.«
Mit großem Interesse studierte Romeo ihr abweisendes Profil. Als er sah, dass sie fest entschlossen war, stur zu bleiben, wandte er sich an Bruder Lorenzo. »Dürfte ich Euch bitten, uns für einen Augenblick allein zu lassen?«
Bruder Lorenzo war anzusehen, dass er damit nicht einverstanden war, doch da Giulietta nicht protestierte, konnte er schlecht nein sagen. Also nickte er und zog sich auf den Balkon zurück, wo er ihnen diskret den Rücken zukehrte.
»Warum«, fragte Romeo nun so leise, dass nur Giulietta es hören könnte, »wäre es denn schade, wenn ich sterben würde?«
Wütend rang sie nach Luft. »Ihr habt mir das Leben gerettet.«
»Zur Belohnung habe ich mir lediglich gewünscht, Euer Ritter sein zu dürfen.«
»Was nützt ein Ritter ohne Kopf?«
Lächelnd trat Romeo näher. »Ich versichere Euch, dass kein Grund für derartige Befürchtungen besteht, solange Ihr Euch in meiner Nähe aufhaltet.«
»Habe ich Euer Wort?« Giulietta sah ihm direkt in die Augen. »Versprecht Ihr mir, dass Ihr Euch nicht mit Salimbeni anlegen werdet?«
»Wie mir scheint«, bemerkte Romeo, der den Wortwechsel sehr genoss, »bittet Ihr mich gerade um einen zweiten Gefallen ... noch dazu einen, der mir viel mehr abverlangt als der erste. Doch großzügig, wie ich bin, lasse ich Euch hiermit wissen, dass mein Preis der gleiche bleibt.«
Ihr Mund öffnete sich vor Erstaunen. »Euer Preis?«
»Oder meine Belohnung, wenn Euch das lieber ist. Sie bleibt die gleiche.«
»Schurke!«, zischte Giulietta, die sich ein Lächeln kaum noch verkneifen konnte. »Ich komme hierher, um Euch von einem tödlichen Schwur zu entbinden, und Ihr seid trotzdem fest entschlossen, mir meine Tugend zu rauben?«
Romeo grinst. »Ein Kuss kann Eurer Tugend doch gewiss nichts anhaben.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als müsste sie sich gegen seinen Charme wappnen. »Das kommt ganz darauf an, wer mich küsst. Ich habe den starken Verdacht, dass ein Kuss von Euch sechzehn Jahre des Aufsparens mit einem Schlag zunichte macht.«
»Wozu ist Aufgespartes gut, wenn man sich nie daran erfreut?«
Gerade, als Romeo dachte, sie am Haken zu haben, sorgte ein lautes Husten draußen auf dem Balkon dafür, dass Giulietta einen Satz nach hinten tat. »Geduld, Lorenzo«, sagte sie streng, »wir brechen noch früh genug auf!«
»Eure Tante fragt sich bestimmt schon«, bemerkte der Mönch, »welche Art von Beichte so lange dauert.«
»Nur noch einen Moment!« Mit enttäuschter Miene wandte sich Giulietta wieder an Romeo. »Ich muss gehen.«
»Legt bei mir die Beichte ab ...«, flüsterte Romeo, während er ihre Hände nahm, »und ich werde Euch einen Segen erteilen, der niemals nachlassen wird.«
»Der Rand Eures Bechers«, entgegnete Giulietta, die sich nicht dagegen wehrte, dass er sie wieder an sich zog, »ist mit Honig beschmiert. Ich frage mich, welch schreckliches Gift er enthält.«
»Falls es tatsächlich Gift ist, wird es uns beide töten.«
»O weh ... Ihr müsst mich wirklich mögen, wenn Ihr den Tod mit mir dem Leben mit einer anderen Frau vorzieht.«
»Ich glaube, das tue ich.« Er schloss sie in die Arme. »Küsst mich, oder ich muss tatsächlich sterben.«
»Schon wieder? Für einen doppelt dem Tode geweihten Mann wirkt Ihr noch recht lebendig!«
Erneut drang vom Balkon ein Geräusch herein, doch diesmal blieb Giulietta, wo sie war. »Geduld, Lorenzo! Ich bitte Euch!«
»Vielleicht«, sagte Romeo, während er ihren Kopf in seine Richtung drehte und nicht mehr losließ, »hat mein Gift seine Wirkung verloren.«
»Ich muss wirklich ...«
Schnell wie ein Raubvogel, der auf seine Beute herabstößt und den armen Bodenbewohner in den Himmel hinaufhebt, stahl Romeo nun einen Kuss von ihren Lippen, ehe diese sich ihm wieder entziehen konnten. Irgendwo zwischen Cherubinen und Teufeln gefangen, hörte seine Beute auf, sich zu wehren. Er breitete weit die Flügel aus und ließ sich mit ihr vom Wind in den Himmel hinauftragen, bis sogar der Räuber selbst jede Hoffnung verlor, jemals wieder nach Hause zurückzufinden.
Während dieser einen Umarmung überkam Romeo ein Gefühl der Gewissheit, wie er es, selbst bei einem tugendhaften Menschen, niemals für möglich gehalten hätte. Was auch immer seine anfänglichen Absichten gewesen sein mochten, als er erfuhr, dass das Mädchen im Sarg am Leben war -
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