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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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welches uns noch der Gebrauch deiner Talente darbieten konnte. Du kennst jetzt den würdigen Freund, den dir der Himmel geschenkt hat: dein ganzes Leben wird nicht zu viel sein, um dich seiner Wohlthaten werth zu machen, und nie genug, um die Beleidigung zu vergüten, welche du ihm zugefügt hast; du brauchst, glaube ich, keine andere Warnung, deine tobende Einbildungskraft künftig im Zaume zu halten. Unter dem Schirme dieses ehrenwerthen Mannes wirst du in die Welt eintreten; unterstützt durch sein Ansehen, geleitet durch seine Erfahrung, wirst du das mißa
    chtete Verdienst an der Härte des Schicksals rächen. Thue dieses Mannes wegen, was du deinetwegen nicht thun würdest. Sieh, welche lachende Aussicht sich dir noch eröffnet; sieh, welchen Erfolg du auf einer Laufbahn hoffen darfst, wo Alles zusammenkommt, deinen Eifer anzuspornen. Der Himmel hat dir seine Gaben geschenkt; dein glückliches Naturell, durch deinen richtigen Geschmack ausgebildet, befähigt dich zu Allem; noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, verbindest du, was dieses Alter Gefälliges hat, mit der Reise, welche späterhin für den Fortschritt der Jahre entschädigt;
    Frutto senile in su'l giovenil fiore.
    [„Greise Frucht auf judendlicher Blüthe.“]
    Das Studium hat deine Lebhaftigkeit nicht abgestumpft und dich nicht steif und schwerfällig gemacht; die fade Galanterie hat nicht deinen Geist verkümmert und verschrumpft. Die glühende Liebe hat, indem sie dir alle erhabenen Gefühle einpflanzte, deren Mutter sie ist, dir den hohen Schwung der Ideen und den scharfen Sinn gegeben, die davon unzertrennlich sind
[Scharfsinn unzertrennlich von der Liebe! Gute Julie, die deinige verräth ihn an dieser Stelle nicht.]
. Bei ihrer sanften Wärme sah ich deine Seele ihre glänzenden Eigenschaften entfalten, wie sich eine Blume den Strahlen der Sonne aufschließt; du hast bei einander alles das, was dazu gehört, sein Glück zu machen, und was dazu gehört, es zu achten. Es fehlt dir, um weltliche Ehren zu gewinnen, nichts als daß du dich herabließest, darnach zu streben, und ich hoffe, daß ein Gegenstand, der deinem Herzen theurer ist, dir den Eifer um dieselben einflößen wird, welchen sie an sich nicht verdienen.
    O mein süßer Freund, du wirst nun weit hinwegziehen …. o mein Geliebter, du wirst deine Julie meiden! …. Es muß sein, unsere Trennung muß sein, wenn wir noch wieder einen glüchlichen Tag sehen wollen; und der Erfolg der Mühen, die du dir geben wirst, ist unsere letzte Hoffnung. Möchte dich ein so lieber Gedanke anfeuern und dich trösten während dieser langen, bitteren Trennung! Möchte er dir das Feuer einhauchen, welches die Hindernisse überwindet und das Glück bezwingt! Ach, die Welt und die Geschäfte werden dir beständig Zerstreuungen darbieten und werden heilsam sein, dich von den Schmerzen der Trennung abzuziehen. Ich aber werde bleiben, mir selbst überlassen oder Verfolgungen preisgegeben, und Alles wird mich zwingen, ohne unterlaß um dich zu weinen. Glücklich werde ich noch sein, wenn nicht eitle Beunruhigungen meine wirklichen Qualen vermehren und wenn ich zu meinen eigenen leiden nicht noch di alle in mir fühle, denen du ausgesetzt sein wirst. —
     
    Ich zittere, wenn ich an die tausend Gefahren denke, die deinem Leben und deinen Sitten drohen. Ich setze in dich alles Vertrauen, das einem ein Mensch einflößen kann: aber, da uns das Schicksal trennt, ach Freund, warum bist du nichts als nur ein Mensch? Wie viel guter Rath wäre dir nothwendig in dieser unbekannten Welt, in die du dich stürzen wirst. Nicht mir, die ich jung, ohne Erfahrung und weniger mit Kenntnissen ausgerüstet bin, als du, nicht mir kommt es zu, dir Weisungen in dieser Hinsicht zu geben; diese Sorge überlasse ich Milord Eduard. Nur zwei Dinge will ich Dir anempfehlen, weil sie mehr in das Gebiet des Gefühls als der Erfahrung fallen, und weil ich, wenn ich auch die Welt wenig kenne, doch ein Herz wohl zu kennen glaube: weiche nie von der Tugend und vergiß nie deine Julie.
    Ich will dir nicht alle die spitzfindigen Argumente, die du mich selbst verachten gelehrt hast, ins Gedächtniß rufen, die so viele Bücher füllen und nie einen Menschen gut gemacht haben. Ach, die traurigen Schwätzer! was für wonnige Entzückungen haben ihre Herzen nie gefühlt und nie gespendet! Laß, mein Freund, die fahlen Moralprediger und gehe in die Tiefe deiner Seele hinein; dort wirst du allezeit die Quelle des heiligen Feuers finden, an welchem

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