Julie oder Die neue Heloise
Sterben! Aber du, du wirst elend und unglücklich leben und ich werde nur zu schwer gerächt sterben.
Vergiß nie, nie diese Julie, die dein war und deren Herz keinem Anderen gehören wird. Ich kann dir nicht mehr versprechen in der Abhängigkeit, in welche mich der Himmel gesetzt hat. Aber, nachdem ich dir Treue empfohlen, ist es billig, daß ich dir von der meinigen das einzige Pfand lasse, das in meiner Macht steht. Ich habe zu Rath gezogen, nicht meine Pflichten, mein verwirrter Geist erkennt sie nicht mehr, aber mein Herz, die letzte Richtschnur Dessen, der keine weiter für sein Handeln hat; und was es mir endlich eingegeben hat, ist dies: ich werde dich nie ohne die Einwilligung meines Vaters heiraten, aber auch nie einen Andern ohne deine Einwilligung: darauf gebe ich dir mein Wort. Es wird mir heilig sein, was auch komme, und es giebt keine menschliche Kraft, die mich verhindern könnte, es zu halten. Mache dir also keine Unruhe über das, was in deiner Abwesenheit mit mir geschehen könnte. Geh, und suche dir, mein liebenswürdiger Freund, unter dem Segen der zärtlichen Liebe ein Schicksal, welches werth ist, sie zu krönen. Mein Geschick liegt in deinen Händen, soweit es von mir abhing, es hinein zu legen, und nie wird es sich ändern ohne deine Zustimmung.
Zwölfter Brief.
An Julie.
O qual fiamma di gloria, d'onore
Scorrer sento por tutte le vene,
Alma grande, parlando con te.
[O, welch ein Feuer des Ruhmes, der Ehre.
Fühlt', ich strömen durch all meine Adern,
Große Seele, vernehm' ich dein Wort.]
Julie, laß mich Athem schöpfen; du machst mein Blut sieden, du machst mich zittern. machst mein Herz beben: dein Brief glüht wie
dein Herz von heiliger Tugendliebe und du strömst in das meinige himmlisches Feuer. Aber warum so viel Ermahnung, wo es nur Befehl Brauchte? Glaube mir, wenn ich mich so weit vergäße, daß ich Gründe nöthig hätte, um recht zu thun, so ist das wenigstens deine Sache nicht: dein bloßer Wille reicht für mich hin. Weißt du nicht, daß ich immer so sein werde, wie es dir gut dünkt, und daß ich selbst Böses thun würde, ehe ich dir den Gehorsam versagte? Ja, ich würde das Capitol verbrannt haben, wenn du es mir geheißen hättest, weil ich dich mehr als Alles liebe. Aber weißt du wohl, warum ich dich so liebe? Ach, unvergleichliches Mädchen, deshalb, weil du gar nichts Anderes wollen kannst, als was recht ist, und weil die Liebe zur Tugend jene noch unüberwindlicher macht, die deine Reize in mir entzünden.
Ich reise, ermuthigt durch die Verpflichtung, welche du übernommen hast und bei der du dir den Umweg ersparen könntest; denn wenn du versprichst, Niemandes zu sein ohne meine Einwilligung, heißt das nicht versprechen, einzig mein zu sein? Ich, ich sage es freier heraus, und ich gebe dir heute mein Manneswort darauf, das nicht gebrochen werden wird. Ich weiß nicht, welches Loos auf der Laufbahn, auf der ich mich dir zu gefallen versuchen will, das Schicksal mir bestimmt, aber nie sollen die Bande der Liebe oder der Ehe an eine Andere knüpfen, als an Julie von Étange; ich bin, ich lebe nur für sie, und ich werde ledig sterben oder als ihr Gatte. Lebe wohl, die Zeit drängt und ich reise im Augenblick ab.
Dreizehnter Brief.
An Julie.
Ich bin gestern Abend in Paris angekommen; er, der nicht leben konnte, durch zwei Straßen von dir getrennt, ist es jetzt durch mehr als hundert Meilen. O Julie, beklage mich, beklage deinen unglücklichen Freund. Wenn ich mit meinem Blute in langen Strömen diesen unendlichen Weg gezeichnet hätte, würde er mir nicht so lang erschienen sein und ich hätte nicht so meine Seele immer ohnmächtiger werden gefühlt. Ach, kennte ich wenigstens den Augenblick, der uns wieder vereinigen soll, so gut wie den Raum, der uns trennt, so würde ich die Entfernung der Orte in dem Fortschreiten der Zeit aufheben, ich würde an jedem Tage, der meinem Leben genommen wird, nur die Schritte zählen, um die er mich dir näher brächte. Aber diese Schmerzensbahnist bedeckt mit dem Dunkel der Zukunft: die Grenze, welche ihr gesetzt ist, ist meinen schwachen Augen entzogen. O Ungewißheit! O Marter! Mein unruhiges Herz sucht sie und findet nichts. Die Sonne geht auf, und bringt mir nicht mehr die Hoffnung wieder, dich zu sehen; sie geht unter, und ich sah dich nicht: meine Tage, genuß- und freudenleer, fließen hin in einer langen Nacht. Umsonst, daß ich in mir die erloschene Hoffnung wieder zu beleben suche, sie bietet mir nur
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