Julie oder Die neue Heloise
mir erlauben will zu meinen Gunsten zu sagen.
Ich hatte mit einigen Gardeofficieren und anderen jungen Männern, Landsleuten von uns, Bekanntschaft gemacht; ich bemerkte an ihnen eine von Natur gute Anlage, und es that mir leid, diese verderbt zu sehen durch die Nachäffung eines gewissen aufschneiderischen Tones, welcher gar nicht zu ihrem Wesen paßt. Sie machten ihrerseits sich darüber lustig, daß sie mich in Paris die Einfalt der alten helvetischen Sitten beibehalten sahen. Sie nahmen meine Grundsätze und meine ganze Art für einen indirecten Vorwurf, der ihnen lästig war, und faßten den Vorsatz, mich um jeden Preis dahin zu bringen, daß ich einen anderen Ton mit ihnen anstimmen müßte. Nach mehren Versuchen, die mißglückten, machten sie einen, der besse angelegt war, und nur zu gut gelang. Gestern Morgen kamen sie zu mir und luden mich zum Abendessen bei der Frau eines Obersten ein, die sie mir nannten, und die, sagten sie mir, weil sie von meinem Betragen gehört, Lust hätte, meine Bekanntschaft zu machen. Dumm genug, mich zum Besten halten zu lassen, stellte ich ihnen vor, daß es doch schicklicher wäre, dort erst einen Besuch zu machen, aber sie spotteten über meine Bedenklichkeit, meinten, die schweizerische Sitteneinfalt vertrüge sich schlecht mit so vielen Umständen, und dergleichen Ceremonienwesen würde nur dazu dienen, ihr eine schlechte Meinung von mir beizubringen. Um neun Uhr begaben wir uns also zu der Dame. Sie empfing uns auf der Treppe, was ich noch nirgend gesehen hatte. Als ich in das Zimmer trat, bemerkte ich, daß auf den Armen am Kamine alte Kerzen brannten, und daß Alles einen gewissen Anstrich von Zurüstung hätte, der mir nicht gefiel. Die Frau vom Hause schien mir hübsch, wiewohl etwas verblüht; es waren noch andere Frauenzimmer etwa in denselben Alter und von ähnlichem Aussehen da: ihr ziemlich reicher Putz war mehr glänzend als geschmackvoll; aber ich habe schon bemerkt, daß dies etwas ist, woraus man hier auf den Stand einer Frau nicht schließen kann.
Die ersten Complimente waren ungefähr dieselben wie überall; der Brauch in der großen Welt schreibt vor, sie entweder kurz abzuthun oder ihnen eine heitere Wendung zu geben, ehe sie langweilig werden. Es ging nicht ganz ebenso gut, als die Unterhaltung allgemein und ernsthaft geworden war. Ich glaubte, an den Damen ein unsicheres und gezwungenes Wesen zu bemerken, als ob ihnen dieser Ton nicht geläufig wäre, und zum ersten Male seit ich in Paris bin, sah ich Frauen in Verlegenheit, ein vernünftiges Gespräch im Gange zu erhalten. Um einen bequemeren Stoff zu gewinnen, fingen sie von ihren Familienangelegenheiten an, und da ich keine einzige von ihnen kannte, konnte Jede sagen, was sie wollte. Nie hatte ich so viel von Monsieur
le Colonel
reden hören, und das nahm mich Wunder in einer Stadt, wo es Brauch ist, die Leute mehr bei ihrem Namen als bei ihrem Titel zu nennen, und wo letzterer, wenn er geführt wird, gewöhnlich von ganz anderer Art ist.
Diese falsche Würde machte bald natürlicheren Manieren Platz. Man fing an, leise mit einander zu sprechen, und indem sich unversehens ein nicht sehr anständiger Ton von Vertraulichkeit einstellte, wurde geflüstert, gelacht, mit dem Blicke auf mich, während mich die Dame des Hauses über den Zustand meines Herzens mit einem gewissen resoluten Tone befragte, der nicht sehr geeignet war, es zu gewinnen. Es wurde aufgetragen und die Freiheit bei Tische, die alle Stände zu vermischen scheint, aber nichtsdestoweniger Jeden, ohne daß er daran denkt, an seine Stelle weißt, belehrte mich vollends, an was für einem Orte ich mich befände. Es war zu spät, um jetzt noch zurückzutreten. Ich beschloß daher, indem ich mich durch meinen Widerwillen für gesichert hielt, diesen Abend mein Geschäft als Beobachter zu treiben und die einzige Gelegenheit zu benutzen, die ich im Leben haben würde, diese Klasse von Frauen kennen zu lernen. Ich sammelte nicht viel Erfahrung ein: diese Personen hatten so wenig Begriff von ihrer gegenwärtigen Lage, so wenig Gedanken an die Zukunft und zeigten sich, den Jargon ihres Gewerbes abgerechnet, so stumpf in jeder Hinsicht, daß der Verachtung bald das Mitleid wich, welches ich anfangs mit ihnen gehabt hatte. Selbst als ich von dem Vergnügen sprach, sah ich, daß sie unfähig wären, es zu empfinden. Sie schienen mir voll Begierde nach Allem, was ihre Habsucht reizen konnte; mit Ausnahme hievon vernahm ich kein Wort aus ihrem Munde,
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