Julie oder Die neue Heloise
gegen den unteren Theil des Gesichtes hin auf einem Rosenroth wie bei dem Vorbilde; man möchte sagen, es sei künstliches Roth, gleich dem Carmin der Damen hier zu Lande, aufgetupft. Dieser Fehler ist nicht unbedeutend, denn er macht dir das Auge weniger sanft und den Blick kecker.
Aber, sage, was hat er mit jenen Amorsnestchen gemacht, die sich in den beiden Winkeln deines Mundes verstecken, und die ich meinen glücklichen Tagen manchmal mit dem meinigen zu wärmen wagte? Er hat diesen Mundwinkeln nicht ihre Lieblichkeit gegeben, er hat dem Munde nicht jenen anmuthig ernsten Zug gegeben, der bei dem geringsten Lächeln plötzlich wechselt und auf das Herz ich weiß nicht was für einen unbekannten Zauber übt, in ihm ich weiß nicht was für ein plötzliches Entzücken weckt, das sich nicht ausdrücken und beschreiben läßt. Es ist wohl wahr, daß dein Porträt nicht so vom Ernst zum Lächeln übergehen kann, Ach! das ist ja gerade, worüber ich jammere; um alle deine Reize abzuschildern, müßte man dich in jedem Augenblicke deines Lebens malen.
Lassen wir es dem Maler hingehen, daß er einige Schönheiten weggelassen, aber etwas, worin er deinem Gesichte nicht weniger Unrecht gethan hat, ist, daß er die Fehler weggelassen hat. Er hat das fast unmerkliche Fleckchen nicht gemacht, das du unter dem rechten Auge hast, noch jenes am Halse auf der linken Seite. Er hat nicht .... o Götter! war denn dieser Mann von Eisen? .... hat nicht die kleine Narbe gemacht, die dir auf der Lippe zurückgeblieben ist. Er hat die Haare und Brauen von einerlei Farbe gemacht, und das ist nicht wahr: die Brauen sind mehr kastanienbraun, die Haare mehr blondlich:
Blonda testa, occhi azurri e bruno ciglio.
[“Blondes Haar, blaue Augen und dunkle Brauen.“
Marini.]
Er hat dem Untertheil des Gesichts ein reines Oval gegeben, hat nicht die leichte Einbiegung bemerkt, welche, Kinn und Wangen trennend, den Umriß unregelmäßiger und anmuthiger macht. Das sind die merklichsten Mängel. Er hat noch andere weggelassen, worüber ich sehr böse auf ihn bin, denn nicht blos in deine Schönheiten bin ich verliebt, sondern in dich ganz und gar, wie du bist. Wenn du nicht willst, daß der Pinsel dir etwas leihe, so will ich nicht, ich, daß er dir etwas nehme, und mein Herz fragt so wenig nach Reizen, die du nicht hast, als es eifersüchtig ist auf das, was statt dessen da ist.
Wie die Kleidung, so kann ich sie um so weniger gelten lassen, da du, geputzt oder im Hauskleide, immer mit mehr Geschmack angezogen bist als in deinem Bilde. Der Kopfputz ist zu reich; man wird entgegnen; es sind ja nur Blumen; ja! aber schon zuviel. Erinnerst du dich des Balles, , wo du dein Walliser Kleid anhattest und deine Cousine sagte, ich tanzte philosophisch? Du hattest als Kopfputz nichts weiter als eine lange Haarflechte rund um den Kopf geschlungen und mit einer goldenen Nadel nach Art der Berner Bäuerinnen festgesteckt. Nein, die Sonne mit allen ihren Strahlen geschmückt, hat nicht mehr Glanz, als du den Augen und den Herzen spendetest, und sicherlich wer dich an diesem Abend sah, vergißt dich in seinem Leben nicht. So, mein Julie, mußt du coiffirt sein; das Gold deiner Haare muß dein Gesicht zieren, nicht diese Rose, welche es verdirbt und deine Gesichtsfarbe todt macht. Sage der Cousine (denn ich merke wohl, daß sie geholfen und gewählt hat), daß diese Blumen, mit denen sie dein Haar bedeckt und entweiht hat, nicht geschmackvoller sind als jene, die sie im Adone
[Das Hauptwerk Marini's, ein Epos in 20 Gesängen. D. Ueb.]
pflückt und daß man es ihnen wohl nachsehen kann, wenn sie der Schönheit zur Aushülfe dienen, aber nicht, wenn sie sie verstecken.
Hinsichtlich des Oberkörpers ist es sonderbar, daß ein Liebhaber strenger sein soll als ein Vater, aber in der That, ich finde dich nicht sorgfältig genug bekleidet. Juliens Portrait muß züchtig sein wie sie. Liebe! nur dir gehört das Verborgenste. Der Maler, sagst du, hat Alles aus seiner Phantasie genommen. Ich glaube es, ich glaube es. Ach! wenn er das Mindeste, gesehen hätte von diesen verhüllten Reizen, seine Augen hätten sie verschlungen, aber nicht hätte seine Hand sie zu malen versucht: was wagte sich doch seine vorwitzige Kunst daran? Das ist nicht nur ein Mangel an Schicklichkeit, ich behaupte, daß es auch ein Mangel an Geschmack ist. Ja, dein Gesicht ist zu keusch, um sich mit dieser unordetlichen Bekleidung des Busens zu vertragen, man sieht, daß jedes von beiden dem
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