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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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alle die Glut, die mich beseelt und die meinige entbrennt daran noch mehr. Ja, mein Freund, laß immer das Schicksal uns trennen, wir wollen nur unsere Herzen fest an einander schließen, daß sie sich ihre natürliche Wärme mittheilen wider allen Frost des Fernseins und der Verzweiflung, und Alles, was unsere Anhänglichkeit lockern sollte, möge nur dazu dienen, sie immer fester und fester zu schlingen.
    Stelle dir aber vor, was für ein Kind ich bin: seit ich diesen Brief erhalten habe, spüre ich etwas von den zauberischen Wirkungen, von denen er spricht, und der Scherz mit dem Talisman, obgleich von mir selbst ersonnen, bestrickt mich und kommt mir wie Wahrheit vor. Hundertmal des Tages, wenn ich allein bin, ergreift mich ein Beben, als fühlte ich dich neben mir. Ich bilde mir ein, daß du mein Bild in den Händen hältst, und ich bin so närrisch, daß ich die Küsse, mit denen du es bedeckst, zu fühlen glaube; mein Mund glaubt sie zu empfangen, mein liebendes Herz sie zu genießen, O süße Täuschungen! O Trugbilder! letzte Zuflucht des Unglücklichen! ach, dient uns, wenn es möglich ist, anstatt der Wirklichkeit! Ihr seid doch immer noch etwas für Den, dem das Glück nichts mehr ist.
    Wie ich es angestellt habe, dieses Porträt zu erlangen? Ja, die Liebe hat dabei gewaltet, aber glaube mir, wenn es wahr wäre, daß sie Wunder thun kann, so würde sie sich nicht dieses ausgesucht haben. Wir hatten vor einiger Zeit einen Miniaturmaler hier, der aus Italien kam; er brachte Briefe von Milord Eduard, der vielleicht, als er sie ihm gab, das im Auge hatte, was geschehen ist. Herr von Orbe wollte die Gelegenheit benutzen, um meine Cousine malen zu lassen; ich wollte ihr Porträt ebenfalls haben, Sie und meine Mutter verlangten das meinige, und auf meine Bitte machte er heimlich noch eine Copie. Ich wählte dann, ohne mich um Original oder Copie zu kümmern, schlau das ähnlichste von den dreien, um es dir zu schicken. Das ist ein Schelmstreich, aus dem ich mir kein großes Gewissen gemacht habe, denn auf ein Bißchen Aehnlichkeit mehr oder minder kommt es meiner Mutter und meiner Cousine nicht an; aber die Huldigungen, die du einem andern Gesichte als dem meinigen darbrächtest, wären eine Art Untreue und um so gefährlicher, je mehr mein Porträt mich überträfe, und auf alle Fälle will ich nicht, daß du Geschmack an Reizen findest, die nicht die meinigen sind. Uebrigens hat es nicht in meiner Macht gestanden, mich ein wenig sorgfältiger bekleidet vorstellen zu lassen; man hat nicht auf mich gehört, und mein Vater selbst hat gewollt, daß das Bild so bliebe, wie es nun ist. Ich bitte dich wenigstens zu glauben, daß, den Kopfputz abgerechnet, die Toilette nicht nach der meinigen gemacht ist, sondern daß der Maler Alles nach seinem Gutdünken geordnet und meine Person mit den Erzeugnissen seiner Einbildungskraft ausgeziert hat.
     
Fünfundzwanzigster Brief.
An Julie.
    Ich muß noch einmal von deinem Bilde sprechen, liebe Julie! nicht mehr in jener ersten Bezauberung, die dir so viel Freude gemacht hat, sondern im Gegentheil mit dem Leide eines Menschen, den eine falsche Hoffnung genarrt hat, und den nichts entschädigen kann für das, was er verlor. Dein Bild hat anmuthige, schöne Züge, sogar auch die deinigen, es gleicht dir ziemlich und ist von einem geschickten Manne gemalt, aber um zufrieden damit zu sein, müßte man dich nur nicht kennen.
    Der erste Vorwurf, den ich ihm mache, ist, daß es dir gleicht und doch nicht dein Ich ist, daß es dein Gesicht zeigt und doch keine Empfindung. Vergeblich hat der Maler deine Augen, deine Züge treu wiederzugeben gemeint, er hat die Sanftmuth nicht wiedergegeben, welche sie belebt und ohne die sie, wie reizend sie sind, doch nichts sein würden. In deinem Herzen, Julie, liegt das, was dein Gesicht schminkt und das ist unnachahmlich. Freilich ist hier ein Punkt berührt, wo die Unzulänglichkeit der Kunst eintritt; aber es ist wenigstens des Künstlers Schuld, daß er nicht in dem, was von ihm abhing, treu war. Er hat z. B. die Haarwurzel zu weit von den Schläfen entfernt, wodurch der Stirn etwas von ihrem gefälligen Umrisse und dem Blicke etwas von seiner Feinheit geraubt ist. Er hat ferner die Purpurästchen weggelassen, welche dort zwei oder drei Aederchen unter der Haut andeuten,fast wie auf den Blumen der Iris, die wir eines Tages im Garten von Clarens betrachteten. Die Röthung der Backen ist zu nah an die Augen geführt und ruht nicht so köstlich

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