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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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reizen, aber die schlechte Gesellschaft hat damit angefangen, Ihre Vernunft irre zu führen, um Ihre Tugend zu zerstören, und macht nunmehr mit ihren Grundsätzen schon den ersten Versuch auf Ihre Sitten.
    Obgleich Sie mir nichts Genaueres über die Gewohnheiten gesagt haben, welche Sie in Paris angenommen haben, ist es doch leicht, aus Ihren Briefen auf Ihren Umgang und aus Ihrer Auffassung der Dinge auf die Art Menschen, die sie Ihnen zeigen, einen Schluß zu machen. Ich habe Ihnen nicht verhehlt, wie wenig ich mit Ihren Berichten zufrieden war, Sie fuhren in demselben Tone fort und mein Mißvergnügen hat nur zugenommen. In Wahrheit, man möchte diese Briefe eher für Spottreden eines
Petit-maitre [Gute Julie, aus wie vielerlei Gründen wirst du ausgelacht werden! Ei, ei, nicht winmal den Ton des Tages hast du! weißt nicht einmal, daß es wohl petites-maitresses giebt, aber keine petits-maitres mehr. Guter Gott! aber was weißt du denn?]
als für Berichte eines Philosophen halten, und man hat Mühe zu glauben, daß sie von derselben Hand sind wie jene, die sie mir ehemals schrieben. Wie! Sie meinen die Menschen studiren zu können in den kümmerlichen Manieren einiger Coterien von Preziösen und Müßiggängern, und dieser äußerliche, veränderte Firniß, der kaum Ihren Blick auf sich zu ziehen verdiente, die Grundlage aller Ihrer Bemerkungen aus. Lohnte es denn der Mühe, mit so vielem Fleiß Gebräuche und Anstandsformen zusammenzulesen, die in zehn Jahren nicht mehr existiren werden, während die ewigen Triebfedern des menschlichen Herzens, das stete verborgene Spiel der Leidenschaften Ihren Nachforschungen entgeht? Nehmen wir Ihren Brief über die Frauen, was finde ich darin, das mich mit ihnen bekannt machen könnte? Ein Bißchen Beschreibung ihrer Art sich zu putzen, was alle Welt kennt; ein Bißchen boshafte Bemerkungen über ihre Art sich zu präsentiren, über das ungeregelte Leben einer kleinen Anzahl, das sie ungerechterweise zum Allgemeinen machen, als ob alles sittliche Gefühl in Paris erstorben wäre und als ob alle Frauen dort in Kutschen führen und Logen des ersten Ranges besuchten! Haben Sie mir irgend Etwas gesagt, das mich gründlich belehrte über ihre Denkungsart, ihre Neigungen, ihren wahren Charakter? und ist es nicht sehr sonderbar, daß ein vernünftiger Mann, der über die Frauen eines Landes spricht, Alles bei Seite läßt, was die Hauswirthschaft und die Kindererziehung betrifft
[Und warum sollte er es nicht bei Seite lassen? Sind das Angelegenheiten, welche sie kümmern? Ei, was sollte da aus der Welt und aus dem Staate werden? Berühmte Autoren, qefeierte Akademiker, was sollte aus euch allen werden, wenn die Frauen ihr Scepter in der Literatur und in den Staatsgeschäften niederlegten, um das der Hauswirthschaft in die Hand zu nehmen?]
? Das Einzige, was in diesem ganzen Briefe Sie verräth, ist das Vergnügen, das Sie darin finden, ihre natürliche Gutherzigkeit zu loben und das der Ihrigen Ehre macht; und auch darin haben Sie weiter Nichts gethan als dem Geschlecht im Allgemeinen Gerechtigkeit widerfahren lassen: in welchem Lande der Welt wäre nicht Sanftmuth und mitleidiger Sinn der liebenswürdige Antheil der Frauen?
    Wie anders wäre das Gemälde ausgefallen, wenn Sie mir mehr geschildert hätten, was Sie selbst sahen, als was man Ihnen gesagt hat, oder wenigstens, wenn Sie verständige Leute zu Rathe gezogen hätten? Müssen Sie, sich so viele Mühe gegeben haben, Ihr Urtheil gesund zu erhalten, es ordentlich wie mit Fleiß zu Grunde richten im Umgange mit leichtsinnigen jungen Leuten, die in der Gesellschaft sittsame Personen nur deshalb aufsuchen, um sie zu verführen, nicht um von ihnen zu lernen! Sie geben falschen Anforderungen des Alters nach, die Ihnen nicht zusagen und lassen die der Vernunft und Besonnenheit außer Acht, die Ihnen wesentlich sind. Bei all Ihrem aufbrausenden Wesen sind Sie der nachgiebigste Mensch und bei aller Reife Ihres Geistes lassen Sie sich so von Denen leiten, mit denen Sie leben, daß Sie sich mit Leuten in Ihrem Alter nicht abgeben können, ohne sich tiefer zu stellen und wieder Kind zu werden. Sie setzen sich also herunter, indem Sie passend zu wählen glauben und bringen sich unter Ihren eigenen Standpunkt, wenn Sie sich nicht Freunde suchen, die verständiger sind als Sie.
    Ich mache Ihnen nicht das zum Vorwurf, daß Sie, ohne es zu wissen, in ein unanständiges Haus geführt worden sind, wohl aber, daß Sie von jungen Officieren

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