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Juliet, Naked

Juliet, Naked

Titel: Juliet, Naked Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Hornby
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–, und so konnte Annie noch etwas abhaken,
     von dem sie nie geglaubt hatte, dass sie es sehen würde, auch wenn der Fluss hier an seinem weniger romantischen Teilstück
     enttäuschenderweise wie die Themse aussah. Duncan war aufgekratzt und redselig und konnte es noch gar nicht recht fassen,
     dass er an einem Ort gewesen war, der über Jahre hinweg seine Fantasie so sehr beschäftigt hatte.
    »Meinst du, es wäre möglich, um dieses Klo rum ein ganzes Seminar zu machen?«
    »Damit du vom Klo aus unterrichten kannst? Ich fürchte, du kriegst es nicht durch den Zoll.«
    »So habe ich das nicht gemeint.«
    Manchmal wünschte sich Annie, Duncan hätte etwas mehr Sinn für Humor, oder zumindest ein Gespür dafür, dass etwas lustig gemeint
     sein könnte. Sie wusste, dass es zu spät war, noch auf richtige Witze zu hoffen.
    »Ich meinte, ein ganzes Seminar über die Toilette im Pits zu machen.«
    »Nein.«
    Duncan musterte sie prüfend.
    »Nimmst du mich jetzt auf den Arm?«
    »Nein. Ich denke, dass ein ganzes Semester über einen Toilettengang von Tucker Crowe vor zwanzig Jahren nicht besonders interessant
     sein dürfte.«
    »Ich würde ja auch noch andere Dinge behandeln.«
    »Andere historische Toilettengänge?«
    »Nein. Andere karrierebestimmende Momente.«
    »Elvis hatte einen guten Toilettenmoment. Absolut karrierebestimmend.«
    »Sterben ist was anderes. Zu ungewollt. John Smitters hat für die Website einen Artikel darüber geschrieben. Der kreative
     Tod im Vergleich zum tatsächlichen Tod. War sogar ziemlich interessant.«
    Annie nickte begeistert, hoffte zugleich aber, dass Duncan ihn nicht ausdrucken und ihr hinlegen würde, wenn sie wieder zu
     Hause waren.
    »Ich verspreche dir, dass ich nach diesem Urlaub nicht mehr so Tucker-zentristisch sein werde«, sagte er.
    »Schon okay. Das stört mich nicht.«
    »Ich wollte das hier schon so lange machen.«
    »Ich weiß.«
    »Dann hab ich damit ein für alle Mal abgeschlossen.«
    »Ich hoffe nicht.«
    »Ehrlich?«
    »Was wäre denn dann noch von dir übrig?«
     
    Sie hatte es gar nicht mal grausam gemeint. Sie war mit Duncan nun schon fast fünfzehn Jahre zusammen, und Tucker Crowe hatte
     immer mit dazugehört, wie ein körperliches Gebrechen. Zudem hatte das Leiden Duncannicht daran gehindert, ein normales Leben zu führen: Gut, er hatte ein Buch über Tucker geschrieben, wenn auch nicht veröffentlicht,
     Vorlesungen über ihn gehalten, an einer Radiodokumentation der BBC über ihn mitgearbeitet, und er organisierte Tucker-Crowe-Symposien,
     aber irgendwie waren diese Aktivitäten Annie immer wie isolierte Episoden, sporadische Anfälle vorgekommen. Abgesehen davon
     war er imstande, ein normales und produktives Leben zu führen.
    Aber dann kam das Internet und veränderte alles. Als Duncan, etwas später als alle anderen, dahinterkam, wie das Ganze funktionierte,
     richtete er eine Website mit dem Namen »Can Anybody Hear Me?« ein – der Titel eines Songs von einer obskuren EP, die Crowe
     nach dem schmerzlichen Misserfolg seiner ersten LP aufgenommen hatte. Prä-Internet hatte der nächste andere Fan in Manchester
     gewohnt, sechzig bis siebzig Meilen entfernt, und Duncan hatte sich nur ein- oder zweimal im Jahr mit ihm getroffen; nun wohnten
     die nächsten Fans in seinem Laptop, es gab Hunderte davon, überall auf der Welt, und Duncan stand in ununterbrochenem Austausch
     mit ihnen. Es gab anscheinend überraschend viel zu besprechen. Die Website hatte einen »Neuigkeiten«-Link, der Annie immer
     amüsierte, da Tucker schließlich niemand war, der allzu viel Neues hervorbrachte. (»Soweit wir wissen«, pflegte Duncan immer
     zu sagen.) Es gab jedoch immer etwas, das unter den treuen Anhängern als Neuigkeit durchging – eine Crowe-Nacht im Internet-Radio,
     ein neuer Artikel, das neue Album eines ehemaligen Bandmitglieds, ein Interview mit einem Tontechniker. Der Großteil des Contents
     bestand allerdings aus Essays, die Songtexte analysierten, Einflüsse diskutierten oder unermüdlich (wie es ihr schien) über
     Tuckers Schweigen spekulierten. Es war nicht so,dass Duncan keine anderen Interessen hatte. Er war Spezialist für das amerikanische Independent Cinema der 70er-Jahre und
     die Romane von Nathaniel West, und er arbeitete sich gerade in ein nettes neues Spezialgebiet ein – die Fernsehserien von
     HBO. Er glaubte, er könnte schon in absehbarer Zukunft in der Lage sein, Vorlesungen über »The Wire« zu halten. Aber das waren
    

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