Juliregen
anderen bereits fertig, als sie wieder nach unten kam. Mary und deren Ehemann Konrad luden gerade mehrere Flaschen und einen Korb voll Leckerbissen in den Wagen.
»Verschmachten werden wir unterwegs gewiss nicht«, rief Konrad Lore lachend zu.
»Ich glaube, wir würden auch bis morgen nicht verhungern, selbst wenn Graf Nehlen uns die Gastfreundschaft verweigern würde«, sagte Mary und hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Hoffentlich verdirbt uns unterwegs nichts!«
»Keine Sorge! So ein Ausflug macht hungrig. Außerdem sollten wir den Pferden unterwegs eine Pause gönnen. Es ist wirklich arg warm.« Nathalia saß bereits auf ihrer temperamentvollen Stute und bot in dem neuen tiefroten Reitkleid, das Mary aus Berlin mitgebracht hatte, einen fabelhaften Anblick. Ein blauer Zylinder mit gleichfarbigem Schleier vervollständigte zusammen mit den zierlichen blauen Reitstiefelchen ihr Erscheinungsbild und brachte Lore auf eine Idee.
»Mary, was hältst du davon, ein Bild unserer lieben Nathalia, so wie sie jetzt ist, in unserem Modesalon auszuhängen?«
»Aber wer sollte es malen?«, fragte ihre Freundin verwundert.
»Oh, da kennen wir jemand, nicht wahr, Nathalia?« Lore lächelte vieldeutig und erregte dadurch Marys Neugier.
»Wen meinst du damit?«
»Einen der Neffen von Graf Nehlen. Der junge Mann ist im Allgemeinen eher unbeholfen, aber ein ausgezeichneter Maler. Allerdings interessiert er sich zumeist für Damen, die um einiges älter sind als Nathalia.«
»Einiges? Du meinst um sehr viel älter! Am liebsten ist es ihm, wenn diese Damen aus Stein oder Bronze sind. Jürgen Göde ist ein angehender Altertumsforscher, meine liebe Mary. Aber so unbeholfen, wie Lore behauptet, ist er gewiss nicht. Er hat uns nämlich das Leben gerettet, als dieser verrückte Verwalter auf uns schießen wollte. Das heißt, eine Patrone hatte der Kerl bereits abgefeuert und mich nur um Haaresbreite verfehlt. Da ist Jürgen im Galopp auf ihn zugeritten und hat ihm das Gewehr entrissen, obwohl er dabei selbst in höchste Gefahr geraten ist.«
Nathalia klang so schwärmerisch, dass Mary den jungen Altertumsforscher unbedingt kennenlernen wollte, und Lore spitzte ebenfalls überrascht die Ohren. Wie es aussah, hatte Jürgen Göde mit dieser mutigen Tat gehörigen Eindruck auf ihre junge Freundin gemacht.
Marys Gedanken waren hingegen schon weitergewandert. Und so fragte sie, ob man überhaupt nach Klingenfeld fahren könne, wenn es so gefährlich war. Nathalia tat diesen Einwand mit einer Geste ab, aber Fridolin blieb neben dem Wagen stehen und lächelte beruhigend. »Du musst keine Angst haben, liebe Mary. Diese Sache liegt in der Hand der Behörden. Wir werden das Gut erst betreten, wenn alles ausgestanden ist.«
»Das erleichtert mich, auch der Kinder wegen.« Mary warf einen kurzen Blick auf den zweiten Wagen, in dem Fräulein Agathe, Tinke, Käthe und die vier Kinder Platz genommen hatten.
Da man über Nacht ausbleiben wollte, hatten Mary und Lore beschlossen, Wolfi, Doro, Jonny und Prudence mitzunehmen. Noch war Lore sich nicht im Klaren, ob die Kinder nicht besser auf Nehlen zurückbleiben sollten. Allerdings waren Wolfi und Jonny darauf erpicht, den bösen Verwalter mit ihren hölzernen Gewehren Mores zu lehren, wie der ältere der beiden Jungen es ausgedrückt hatte. Es würden daher etliche Tränen vergossen werden, wenn sie nicht mitkommen durften.
Lore seufzte und lenkte damit Nathalias Aufmerksamkeit auf sich. »Was hast du, meine Liebe? Fürchtest du dich davor, den Gig bis nach Klingenfeld zu kutschieren? Dann werde ich Herrn Zeeb auffordern, uns neben Drewes noch einen zweiten Kutscher mitzugeben.«
»Nein, Nati, es geht schon. Außerdem müssten wir sonst einen anderen Wagen nehmen, und ein größeres Gefährt kann ich noch nicht kutschieren.«
»Das müsstest du ja dann auch nicht, weil der Knecht die Zügel übernehmen würde.« Doch Nathalia beließ es dabei, denn in ihren Augen war es ganz gut, wenn ihre Freundin sich dieser Herausforderung stellte. In den letzten Jahren war Lore ihr zu zaghaft geworden.
Mary hingegen traute den Fahrkünsten ihrer Freundin nicht. »Glaubst du, du kannst dieses Gefährt beherrschen?«, fragte sie Lore und beäugte den großen schwarzen Wallach vor dem Gig misstrauisch.
»Ich habe in der letzten Woche schon einige Male die Zügel geführt!« Marys Zweifel an ihren Fähigkeiten ließ Lore die Federn aufstellen.
Nathalia lächelte. Im Kern war Lore noch immer das
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